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“Tatort” über Stalking im Ersten – mit wenig Spannung

Eine alleinerziehende junge Mutter wird gestalkt – oder war es umgekehrt? Plötzlich liegt der Mann, von dem sie sich verfolgt fühlte, tot in der Weser. Der neueste Bremer “Tatort” kommt eher konstruiert daher.

Einen “Ort, der nur mir gehört”, besitzt die 25-jährige Rani. Ganz im Sinne des “Zimmers für sich allein”, das einst Virginia Woolf in ihrem berühmten gleichnamigen Essay forderte – als Voraussetzung für (weibliche) Unabhängigkeit. Rani hält diesen Ort geheim, erzählt nicht einmal ihrer siebenjährigen Tochter Mia und Mitbewohnerin Paula davon, den engsten Vertrauten in ihrem Leben. Oder müsste man sagen: gerade diesen beiden nicht?

Als alleinerziehende Mutter ist Rani (Via Jikeli) nämlich kaum jemals für sich. Von Altenpflegerin Paula (Sarina Radomski) erhält sie zwar viel Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Und doch: “Für sich allein” ist sie auch zu Hause eigentlich nie. Deshalb der geheime Zufluchtsort – der noch eine tragende Rolle spielen wird.

Lange, sehr lange weiß man bei Rani nicht, ob sie wirklich Opfer – oder nicht doch eher Täterin ist. Die junge Frau fühlt sich verfolgt von dem Mann, mit dem sie kurz zuvor eine Affäre hatte: dem Journalisten Marek Kolschak (Jonathan Berlin). Der liegt im “Tatort: Solange du atmest”, den Das Erste am 11. Mai ab 20.15 Uhr ausstrahlt, plötzlich tot in der Weser. Und Rani ist unauffindbar…

Die Kommissarinnen Linda Selb (Luise Wolfram) und Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) ermitteln zunächst in eine andere Richtung, verfolgen die Spur zu einem Dealer, der für den Tod eines Drogenkonsumenten verantwortlich sein soll. Denn zu diesem Fall, der auch Selb noch immer umtreibt, hatte Kolschak recherchiert…

Es sind so einige Erzählfäden, die dieser Krimi zu bündeln sucht: Stalking in unterschiedlichen Beziehungszusammenhängen – aber auch die Frage, wann eine entsprechende Wahrnehmung womöglich Paranoia ist? Das Thema Einsamkeit, nicht nur bei den pflegebedürftigen Alten, die Laura tagtäglich aufsucht. Der unbefriedigend gelöste Fall um den Drogentoten sowie Streitereien zwischen den Kommissarinnen, die sie vor allem in der Kampfsport-Stunde miteinander ausfechten.

Zum ziemlich vollen und arg konstruierten Drehbuch von Judith Westermann kommt eine Regie, der es nicht recht gelingen mag, das Ganze zu einem konsistenten Film zu verbinden. Die – auch in sich nicht immer überzeugenden – Erzählstränge streben auseinander – was man etwa mit Erklär-Dialogen der Ermittlerinnen zusammenzuhalten sucht. Ähnliches gilt für die visuelle Ebene, die zu keiner einheitlichen Bildsprache findet.

Zwar sind die in Ego-Shooter-Manier gefilmten Body-Cam-Aufnahmen, die immer wieder für Ranis Perspektive verwendet werden, grundsätzlich interessant: Verweisen diese doch auf die subjektive Wahrnehmung, vermitteln Ranis Gefühl des Verfolgtwerdens. Allerdings kontrastieren auch weitere Sequenzen, etwa die Kampfsport-Szenen im bläulich-stylishen Gegenlicht, recht ausgeprägt mit dem Rest des Films: was in Summe den Eindruck eines nicht wirklich runden Ganzen verfestigt.

Spannung entsteht so eher nicht. Statt sich auf die Zeichnung der Figuren – die gerade in den Rollen von Rani und Paula wirklich gut gespielt sind – zu fokussieren, die Handlung durch diese vorantreiben zu lassen, setzt dieser “Tatort” auf oft aufgestülpt wirkende Wendungen. Auch die Missstimmung zwischen den Kommissarinnen mutet eher aufgesetzt an, ebenso wie das humoristische Geplänkel mit der hier zum zweiten Mal auftretenden neuen Gerichtsmedizinerin Edda Bingley (dargestellt von US-Sängerin Helen Schneider). Weniger Aufhebens um das ermittelnde Personal und mehr Konzentration auf die Krimi-Story wäre deutlich mehr gewesen.

Schade, denn so manches gelingt diesem Film gut – vor allem die lange gehaltene Unsicherheit bezüglich Ranis Rolle zwischen Stalking-Opfer und Paranoia-Geplagter. Und auch der die Geschichte grundierende Gedanke über das Wechselspiel zwischen Gemeinschaft und Alleinsein, Nähe und Distanz hätte interessant vertieft werden können – wenn er denn präziser ausgeführt worden wäre. So aber bleibt ein weiterer Bremer “Tatort”, der den Eindruck hinterlässt, dass da ein noch relativ “junges” Team nach wie vor auf der Suche nach einem überzeugenden eigenen Ton ist.