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“Death Positive”: Junge Bestatter verbinden Tod mit Lebensfreude

Eine traditionelle Bestattung oder eine Riesenparty? In Deutschland gibt es einen Trend zur “Death Positive”-Bewegung. Kann das helfen, den Tod besser anzunehmen?

Das Berliner Bestattungsunternehme "Ab unter die Erde" beschreitet neue Wege
Das Berliner Bestattungsunternehme "Ab unter die Erde" beschreitet neue WegeAb unter die Erde

In der Ecke steht ein offener Sarg, dekoriert als buntes Bällebad. Kerzen in Totenkopfform zieren die Fensterbank; Luftballons in pink und rosa glänzen an der Decke. Gummibärchen locken in einem Bonbonglas, in einer Vase leuchten Sonnenblumen.

Die vierjährige Tochter von Robert Freitag sitzt auf seinem Schoß und hört dem Gespräch über den Tod zu. Für sie ist es etwas ganz Normales, dass Papa Leute unter die Erde bringt. “Es ist wichtig, wenn Kinder wissen, dass sie Fragen stellen dürfen”, sagt Freitag, 36 Jahre alt. Auch als die Oma starb, hat er zusammen mit seiner Tochter von ihr Abschied genommen. “Es wird wirklicher, wenn man den Toten sehen und anfassen kann”, findet er.

Alternative Beerdigung: Schöne Abschiede schaffen Erinnerungen

Das Berliner Unternehmen “Ab unter die Erde” hat sich zum Ziel gesetzt, trotz – aber auch mit – aller Trauer das Leben und die gemeinsame Zeit mit der verstorbenen Person zu feiern – etwa mit einer Party am Ende des Lebens. Natürlich sei der Tod traurig – aber eben nicht nur, sagt Maria Kauffmann, die zusammen mit Freitag vor zwei Jahren das alternative Beerdigungsinstitut gegründet hat. “Schöne Erinnerungen an die Bestattung können helfen, den Tod anzunehmen”, ist sie überzeugt.

Eine Beerdigung, die passt: Die Idee zur Gründung des Unternehmens kam der dreifachen Mutter, als ihr Vater vor ein paar Jahren starb. Nach der traditionellen Trauerfeier wurde ihr klar, dass sie für sich etwas Anderes wolle. “Auf meinem Grab sollen die Menschen tanzen”, sagt die 45-jährige.

Fragen zum Tod: US-Bestatterin antwortet im Netz

“Death Positive” heißt die Bewegung, die die Amerikanerin Caitlin Doughty schon vor Jahren geprägt hat; dabei geht es darum, Tod und Trauer wieder mehr in den Alltag der Menschen zu integrieren. Unter dem Titel “Ask a Mortician” (Frag einen Bestatter) beantwortet sie auf Youtube und Instagram verschiedene Fragen zum Thema – etwa, wie lang die Totenstarre anhält (bis zu drei Tage nach dem Tod).

 

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Dinge wie diese waren früher Allgemeinwissen; schließlich war die Familie selbst damit beschäftigt, Mund und Augen des Toten zu schließen, ihn anzuziehen und anschließend zu Hause aufzubahren. Die meisten Menschen sind früher zu Hause gestorben. Noch im 18. Jahrhundert gab es keine Leichenhallen. “Da lag die Leiche dann auf dem Küchentisch”, sagt der Moraltheologe Rupert Scheule von der Universität Regensburg. Er leitet den Studiengang Perimortale Wissenschaften, der den Zeitraum rund um den Tod verstehen und erforschen will.

Laut einer Umfrage von 2022, die vom Deutschen Hospiz- und Palliativverband in Auftrag gegeben wurde, ist die Mehrheit der Deutschen (60 Prozent) der Meinung, dass sich die Gesellschaft in Deutschland zu wenig mit dem Thema Sterben und Tod befasst. Mittlerweile gebe es eine Tendenz, den Tod nicht nur zu verdrängen, sagt auch Scheule. Dies zeige sich etwa in alternativen Bestattungsformen – “gerade die Babyboomer, die ihr ganzes Leben Rock’n’Roll gefeiert haben, fragen das nach. Die wollen keine bleischwere Beerdigung zum Schluss.”

“Death Positive”: Die neue Leichtigkeit beim Thema Tod

Auch andere Trends zeigen diese neue Leichtigkeit: Trauercafes oder die “Ab unter die Erde”-Abschiedsbar bieten Angehörigen Gespräche über den Tod. Die App “WeCroak” (dt.: Wir krepieren) erinnert per Nachricht fünfmal täglich daran, dass wir sterblich sind. Es gehe bei Death-Positive nicht nur ums Party-machen, sondern darum, den Tod wieder ein Stück weit ins Leben hereinzuholen, so Scheule.

Bemalter Sarg bei Trauerfeier

Eine Einschätzung, die Kauffmann teilt. “Wir haben den Tod aus unserem Leben verbannt. Es macht es aber nicht besser, ihn zu verstecken”, sagt sie und gibt ein Beispiel: Autos von Bestattungsunternehmen seien in der Regel verdunkelt. Der Wagen, mit dem sie Särge transportiere, habe dagegen ganz normale Scheiben. Sicherheitshalber mache sie immer einen Zettel daran, wenn sie das Auto mal über Nacht irgendwo abstelle. “‘Falls du dich fragst: Der Sarg ist leer’, steht darauf”, erzählt sie und lacht.

Schmerzen, körperlicher Verfall, Einsamkeit: Kann man angesichts des Todes überhaupt lachen? Grundsätzlich sollte man dem Tod mit mehr Humor begegnen, sagt Scheule. “Alle sind dankbar für eine halbwegs witzige Bemerkung bei der Totenrede”, so der Diakon.

Abschiedsfeiern im Park und am Strand

Kauffmann und Freitag haben in Bierbrauereien, am Strand und im Motorradclub Abschiedsfeiern für Verstorbene organisiert. Und einmal eine Party im Park zu Ehren eines Verstorbenen gegeben, mit Blumen, Ballons und Zuckerwatte. “Die Leute, die vorbeigingen, fragten, wann denn das Brautpaar käme”, erzählt Kauffmann.

“Die Menschen, die zu uns kommen, fragen wir nicht als erstes: ‘Welche Urne, welcher Sarg darf es sein? Sondern: Was braucht ihr? Wer war die Person, die gegangen ist?'”

Grenzen gebe es bei ihrem Unternehmen keine, sagt Kauffmann: Wer will, kann die Asche seines Liebsten auch in eine Schallplatte pressen lassen und dann die Lieblingsmusik darauf spielen. Oder aus den verbrannten Haaren des Verstorbenen Tattoofarbe herstellen – und sich dann zur Erinnerung ein Tattoo stechen lassen. Hier arbeitet die Firma nach eigenen Angaben mit ausländischen Unternehmen zusammen: Denn gesetzlich ist in Deutschland beides verboten.

“Der Tod macht uns machtlos und hilflos. Wir haben ihn null unter Kontrolle. Indem die Angehörigen möglichst viel mitbestimmen können, versuchen wir, ihnen ein wenig Macht darüber zurückzugeben”, sagt Kauffmann.

Vorsicht bei Verdinglichung von toten Menschen

Seit dem 19. Jahrhundert gebe es in Deutschland eine relativ starke Reglementierung des Todes und des Bestattungswesens, erklärt Scheule. Das habe zur Folge, dass “viele Menschen denken, sie könnten rechtlich etwas falsch machen im Umkreis des Todes. So wahnsinnig viel falsch machen können sie aber nicht.” Eine deutlich “lebensweltnähere Gestaltung” sei angebracht. “Die Ritualwalze sollte sich nicht über die individuellen Bedürfnisse legen”, so der Theologe. “Wichtig ist: Was tut Sterbenden und deren Angehörigen gut?”

Totenasche in Schallplatten zu verarbeiten oder daraus einen Diamanten zu fertigen, findet er allerdings grenzwertig. “Bei der Verdinglichung von Menschen sollten wir vorsichtig sein. Wenn der verstorbene Lebensgefährte Udo als Diamant eine Zeitlang um den Hals hing und dann in der Schublade oder gar im Mülleimer verschwindet, weil man sich neu verliebt hat, ist das problematisch – und gegen die Totenwürde”, sagt Scheule.