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Tafel-Geschäftsführer: Lebensmittel für Bedürftige statt für den Müll

Die Hamburger Tafel feiert am Donnerstag ihr 30-jähriges Bestehen. Gegründet von Annemarie „Ami“ Dose (1928-2016), die anfangs persönlich Bäckereien aufsuchte und dort Brot abholte, um dieses anschließend an Bedürftige zu verteilen, versorgt die Hamburger Tafel heute wöchentlich mehr als 40.000 Menschen mit Lebensmitteln. Eigene Ausgabestellen betreibt sie dazu nicht, stattdessen beliefert sie soziale Einrichtungen mit Lebensmitteln, die sie insbesondere von Supermärkten gespendet bekommt. „Was ich an der Lebensgeschichte von Ami so besonders finde, ist, dass sie selber eigentlich in einer traurigen Situation war“, sagt Jan Henrik Hellwege (44), Geschäftsführer der Hamburger Tafel, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Sie hatte ihren Mann verloren, als sie auf die Idee kam, die Hamburger Tafel zu gründen. Sie war ein unglaublich toller Mensch.“ Nach der im Oktober zu Ende gegangenen, von sechs ECE-Einkaufscentern durchgeführten Aktion „Hamburg United – gemeinsam füreinander handeln!“, bei der fast 50.000 Euro zusammenkamen, erfolgt am Donnerstag die Scheckübergabe an die Hamburger Tafel. Später, am 29. November, wollen Tafel-Mitarbeitende, Helferinnen und Helfer gemeinsam den runden Geburtstag feiern, sagt Hellwege.

epd: Was macht die Hamburger Tafel?

Jan Henrik Hellwege: Wir engagieren uns gegen Lebensmittelverschwendung, indem wir überschüssige Lebensmittel, die noch bedenkenlos zu verzehren sind, aus dem Handel abholen. Wir retten sie also dort, wo sie sonst weggeschmissen würden. In einem zweiten Schritt geben wir sie an Menschen in Hamburg weiter, die als bedürftig gelten. Also an die Einkommensschwache, die nicht genug Geld haben, sich ausreichend selbst mit gesunden Lebensmitteln zu versorgen. Und natürlich an spezielle Bevölkerungsgruppen wie Obdachlose.

epd: Wie erfolgt die Weitergabe der Lebensmittel?

Hellwege: Die Hamburger Tafel ist anders als viele Tafeln in Deutschland. Unsere Gründerin Annemarie Dose hatte die Idee, die Lebensmittel nicht selbst in die Hände der Bedürftigen zu geben. Anfangs hatte sie zwar genau das getan, dabei merkte sie jedoch, dass es besser wäre, sich starke Partner für die Ausgabe zu suchen – Kirchengemeinden beispielsweise oder sonstige soziale Einrichtungen, die in den verschiedenen Stadtteilen bereits soziale Arbeit leisten, daher ihren Kiez kennen und wissen, wie sie vor Ort helfen können. Das war eine sehr plietsche Entscheidung. Aktuell arbeiten wir mit 65 verschiedenen sozialen Einrichtungen zusammen. So erreichen wir alle Stadtteile nördlich der Elbe.

epd: Wie viele Mitarbeitende, Helferinnen und Helfer hat die Hamburger Tafel, und wie viele Menschen in anderen Einrichtungen unterstützen Ihre Arbeit?

Hellwege: Wir haben sechs festangestellte Mitarbeitende. Sie leisten beispielsweise den Fahrdienst, arbeiten im Lager oder in der Verwaltung. Ehrenamtlich sind etwa 250 Menschen für die Hamburger Tafel tätig. Hinzu kommen geschätzt rund 1.000 Freiwillige, die unsere Arbeit in anderen Einrichtungen unterstützen und dort die Lebensmittel in die richtigen Hände geben.

epd: Woher kommen die Lebensmittel, die Sie einsammeln, genau?

Hellwege: Wir erhalten die Lebensmittel überwiegend aus Supermärkten. Darin bestand auch unser erster Ansatz: dass wir beim Einzelhandel direkt vorfahren und dort die nicht abverkauften Lebensmittel an der Laderampe abholen. Zurzeit verschiebt sich diese Quelle etwas, weil der Lebensmittelhandel nicht mehr so viele Überschüsse hat. Dank elektronischer Hilfsmittel kann der Handel heutzutage besser voraussehen, was abverkauft wird. Auch bietet er übrigbleibende Ware heute oft zu vergünstigten Preisen an. Die Inflation hat dazu geführt, dass Konsumenten gezielt nach solch preisreduzierten Lebensmitteln suchen, um nicht so viel Geld ausgeben zu müssen. Diese Waren fehlen uns als Spenden, weshalb wir uns inzwischen auch an größere, übergeordnete Stellen wenden. Wir haben einen zweiten Lkw angeschafft, mit dem wir zu den Logistikstandorten und direkt zu den Herstellern fahren, wo wir Ware auf Euro-Paletten entgegennehmen. So versuchen wir, das Loch zu stopfen.

epd: Auch wenn Sie selbst die Ausgabestellen nicht betreiben, können Sie dennoch etwas zu der dortigen Kundschaft sagen?

Hellwege: Es kommt eine ganz bunte Mischung. Das liegt auch an den großen Entwicklungen unserer Gesellschaft. Beispielsweise kamen während der Corona-Pandemie Menschen vieler Berufsgruppen neu in die Situation, nach Tafelangeboten zu fragen. Mit Ausbruch des Ukrainekriegs strömnten dann viele Schutzsuchende ins Tafelsystem. Die Mischung, die zu uns kommt, spiegelt die Armutsstatistik wider. Es kommen Familien, Rentner, Menschen mit Migrationshintergrund. Und natürlich kommen seit Beginn Obdachlose vorbei.

epd: Gibt es Bedürftige, die aus Scham nicht in die Ausgabestellen kommen?

Hellwege: Ja klar. In unserer Gesellschaft ist es immer noch so, dass derjenige, der kein Geld hat, dem Vorurteil ausgesetzt ist, dass er selber schuld daran sei. Armut hat keine Lobby und ist oft ein Thema, das eher verheimlicht wird und und hinter verschlossenen Türen stattfindet. Das merken wir vor allen Dingen bei der Altersarmut. Viele, viele Menschen gehen nicht zur Tafel, weil sie sich schämen würden, wenn die Nachbarn sie sähen. Wir und unsere Partner versuchen natürlich, das aufzubrechen. Oft sind Lebensmittelausgabestellen zum Beispiel richtige Begegnungsstellen, in denen es Kaffee und Kuchen oder weitere Angebote gibt und bei denen man nicht nur in der Schlange steht, um Lebensmittel zu bekommen.

epd: Wie können Menschen sich für die Hamburger Tafel engagieren?

Hellwege: Unser Erfolg beruht auf drei Säulen, und dabei kann uns jeder unterstützen: Wir benötigen erstens Lebensmittelspenden, auch Privatpersonen können Lebensmittel an uns abgeben. Zweitens brauchen wir Menschen, die hier bei uns ihre Zeit investieren, indem sie bei uns arbeiten und etwa mithelfen, Lebensmittel einzusammeln. Und drittens benötigen wir finanzielle Mittel. Dadurch, dass wir mittlerweile über 40.000 Menschen pro Woche Unterstützung anbieten, liegen die Kosten für unsere Logistik, unsere Fahrzeugflotte und alles, was wir machen, inwischen bei einer Million Euro pro Jahr. Die finanzielle Spende ist deshalb auch ein ganz wichtiges Mittel, um uns zu unterstützen.

epd: Sie werben mit dem Slogan „Wir haben Hamburg noch lange nicht satt“. Wird Hamburg irgendwann satt sein?

Hellwege: Nein. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Wir laufen der Entwicklung immer hinterher. Die Diakonie schreibt auf ihrer Internetseite, dass allein in Hamburg 350.000 Menschen arm oder von Armut bedroht sind. Wenn ich jetzt wiederhole, dass wir ungefähr 40.000 Menschen pro Woche unterstützen, wird deutlich, dass wir gerade mal um die 10 Prozent erreichen. Ich glaube nicht, dass man es nur aus spendenfinanzierten Mitteln heraus und nur mit ehrenamtlichen Helfern schaffen kann, alle Menschen, die einen Anspruch hätten, zu erreichen. Deshalb werden wir Hamburg, glaube ich, leider nie satt haben. Es sei denn, die Armut nimmt ab. Das wäre wiederum etwas, was wahrscheinlich nur die Politik erzeugen könnte.

epd: Was wünschen Sie der Hamburger Tafel für die kommenden 30 Jahre?

Hellwege: Ich wünsche mir, dass wir, auch wenn unsere Aufgabe schwierig ist, nie den Mut verlieren. Und dass wir weiter Spaß an unserer Arbeit sowie daran haben, auf das zu gucken, was wir schaffen. Vor allem aber wünsche ich mir, dass wir immer genug Helfer, Lebensmittel und finanzielle Mittel zur Verfügung haben, um unsere Arbeit weiter machen zu können.