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Studie: Bürgergeld-Regelsatz reicht oft nicht – Scham sehr präsent

In vielen Bürgergeld-Haushalten verzichten Eltern am Monatsende oft auf Essen – damit ihre Kinder satt werden, so eine Studie. Wie sinnvoll sind da weitere Verschärfungen?

Laut einer Studie reicht der Regelsatz beim Bürgergeld für viele der Betroffenen nicht aus, um ein würdevolles Leben zu führen. In einer am Montag in Berlin vorgestellten Untersuchung gaben 72 Prozent der Befragten an, dass sie mit dem Satz von 563 Euro im Monat nicht ihre Grundbedürfnisse erfüllen könnten. Vor allem Eltern verzichten demnach zugunsten ihrer Kinder auf Essen (54 Prozent). Rund 28 Prozent machten sich Sorgen, obdachlos zu werden.

Der Verein Sanktionsfrei hat nach eigenen Angaben über das Institut Verian eine Umfrage unter 1.014 Bürgergeldbeziehenden im Alter von 18 bis 67 Jahren erhoben. Durch eine anschließende Gewichtung auf Basis amtlicher Statistiken seien die Daten geeignet, um Aussagen über die Beziehenden der Sozialleistung in Deutschland zu treffen. Bürgergeld erhält, wer erwerbsfähig ist und seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen sichern kann.

Der Wunsch, vom Bürgergeld unabhängig zu werden, ist demnach stark ausgeprägt (74 Prozent). Es seien jedoch nur 26 Prozent zuversichtlich, dass sie auch eine entsprechende Stelle finden könnten. Auch die Jobcenter nahmen Betroffene bei der Arbeitssuche laut Studie nur als bedingt hilfreich wahr. Gesellschaftliches Stigma und Scham seien unter den Befragten sehr präsent. Nur 12 Prozent fühlten sich als Teil der Gesellschaft. 42 Prozent gaben an, dass sie sich schämten, Bürgergeld zu beziehen. Die Mehrheit der Befragten habe Angst vor weiteren Verschärfungen im Bürgergeld (72 Prozent).

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, bezeichnete deshalb die von der Bundesregierung geplante Abschaffung des Bürgergelds und die Einführung eines Grundeinkommens als einen “kompletten Irrweg”. Eine Kürzung der Leistungen sei kontraproduktiv, nicht nur für die betroffenen Menschen, sondern auch für Unternehmen, Gesellschaft und Sozialstaat. Solche Sanktionen erschwerten die Arbeitsaufnahme. Politik und Wirtschaft müssten mehr und nicht weniger in die Menschen investieren.

Helena Steinhaus vom Vorstand des Vereins Sanktionsfrei forderte, die Bedürfnisse der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen und die geplanten Verschärfungen zu stoppen. Ein Regelsatz von 813 Euro sei nötig. Statt Sanktionen solle es mehr Qualifizierung und Weiterbildung geben.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, erklärte dazu, die Studie belege klar, dass eine überwältigende Mehrheit möglichst schnell das Bürgergeld verlassen und eine existenzsichernde Arbeit aufnehmen möchte. Viele stünden aber vor großen Hürden. Über die Hälfte der Befragten sei gesundheitlich eingeschränkt und benötige dringend mehr Unterstützung durch die Jobcenter. Neben den Älteren würden zudem vor allem Menschen mit Schwerbehinderung kaum von Arbeitgebern eingestellt. Notwendig sei deshalb auch der Ausbau der Reha- und Schwerbehinderten-Teams in den Jobcentern.

Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion ist zudem die Zahl der sogenannten Aufstocker in Deutschland zum ersten Mal seit 2015 wieder gestiegen. Demnach zahlte der Staat im vergangenen Jahr rund 826.000 Erwerbstätigen zusätzlich Bürgergeld, weil ihr Einkommen nicht zum Leben reichte. Die staatlichen Ausgaben für dieses ergänzende Bürgergeld wuchsen nach Angaben des Sozialministeriums von 6,19 Milliarden Euro 2023 auf 6,99 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Zuvor war die Zahl der Aufstocker seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 kontinuierlich gesunken: von gut 1,2 Millionen auf rund 796.000 Menschen im Jahr 2023.