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Steinmeier ruft zu Verteidigung von Grundgesetz und Freiheit auf

Deutschland feiert 75 Jahre Grundgesetz. In Berlin richtet der Bundespräsident bei einem Staatsakt einen eindringlichen Appell an alle Bürger. Nun folgen drei Tage Demokratiefest – nicht nur in der Hauptstadt.

Am 75. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier alle Deutschen dazu aufgerufen, Freiheit und Demokratie zu verteidigen. “Selbstbehauptung ist die Aufgabe unserer Zeit”, sagte er am Donnerstag bei einem Staatsakt in Berlin, bei dem die gesamte Staatsspitze anwesend war. Die Demokratie in Deutschland sei unter Druck geraten, so Steinmeier. Sie sei zwar geglückt, aber nicht auf ewig garantiert.

“Gerade jetzt erstarken auch bei uns Kräfte, die sie schwächen und aushöhlen wollen, die ihre Institutionen verachten, ihre Repräsentanten beschimpfen und verunglimpfen”, warnte das Staatsoberhaupt und mahnte: “Wir alle tragen Verantwortung für eine politische Kultur, die demokratieverträglich ist.” Das bedeute, allem entschieden entgegenzutreten, was Gewalt vorbereite: Menschenverachtung, Hetze gegen Minderheiten, Hass. “All das hat in einer Demokratie nichts zu suchen!” Gewalt im politischen Meinungskampf gehöre mit aller Entschiedenheit geächtet.

Beim Schutz der Demokratie komme es auf die politischen Institutionen und auf die Bürgerinnen und Bürger zugleich an. “Das Grundgesetz garantiert Freiheit, und es erwartet Verantwortung”, sagte Steinmeier. Es sei keine Bilanz, sondern ein Auftrag. “Unser Grundgesetz sagt nicht, was wir sind. Sondern unser Grundgesetz zeigt, was wir sein können.” Auch angesichts dessen, dass derzeit eine Krise auf die nächste folge, sei ein Rückzug von der Wirklichkeit keine Lösung.

Es kämen raue und härtere Jahre auf die Menschen in Deutschland zu, sagte der Bundespräsident. “Die Antwort darauf können und dürfen nicht Kleinmut oder Selbstzweifel sein. Es wäre ganz falsch, den Kopf in den Sand zu stecken oder sich eine bequemere Vergangenheit einfach herbei zu träumen.” Ebenso falsch wäre es, “täglich den Untergang unseres Landes zu beschwören”. All das lähme und bringe nicht weiter: “Wir müssen uns jetzt behaupten – mit Realismus und Ehrgeiz.” Deutschland müsse mehr tun für seine Sicherheit. Dafür brauche es finanzielle Mittel und eine starke Gesellschaft, die bereit sei, Bedrohungen der Freiheit entgegenzutreten, und Zusammenhalt beweise.

Zuvor hatten die beiden großen christlichen Kirchen anlässlich des Jubiläums des Grundgesetzes in Berlin einen ökumenischen Gottesdienst gefeiert. Der stellvertretende Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Bischof Michael Gerber, mahnte dabei einen weiterhin kritischen Blick auf die eigene Geschichte an. Dieser Blick sei hart erkämpft worden. Wenn er jetzt manipuliert werde, habe dies fatale Konsequenzen, warnte Gerber. Dies zeige etwa die Art und Weise, wie im Russland Wladimir Putins Geschichte umgeschrieben werde und dunkle Episoden sowie eigene Verbrechen negiert würden.

Die Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischöfin Kirsten Fehrs, erinnerte daran, dass das Grundgesetz den Menschen nach der Katastrophe nationalsozialistischer Gewaltherrschaft zunächst Halt gegeben habe. Die Artikel des Grundgesetzes entsprächen in ihrer Prägnanz den knapp gehaltenen zehn Geboten, die in Judentum, Christentum, Islam vorkämen.

Von Freitag bis Sonntag ist in Berlin ein Demokratiefest geplant. Dort präsentieren sich staatliche Institutionen ebenso wie zivilgesellschaftliche Organisationen und die Kirchen. Steinmeier will am Sonntag gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Demokratiefest im Rahmen von dessen Staatsbesuch in Deutschland besuchen.

In der früheren Hauptstadt Bonn, wo das Grundgesetz am 23. Mai 1949 verkündet wurde, findet am Samstag ein “Fest der Demokratie” im ehemaligen Bundesviertel statt. Auch in anderen Städten waren zum Jubiläumstag und am Wochenende Festakte und Bürgerfeste geplant.