Keine Wohnung, keine Arbeit, kein Geld: Auf der Straße zu leben ist gerade für Frauen schwer. Jetzt hat Bundespräsident Steinmeier zwei Einrichtungen besucht, die obdachlose Frauen unterstützen.
Erst schenkt der Bundespräsident den Kaffee ein, dann erzählt Badia ihm von ihrem Leben. Ein bisschen wenigstens. Wie sie obdachlos wurde, zum Beispiel. Dies sei “eine lange Geschichte”, sagt die 53-Jährige, die vor mehr als einem Jahr aus Frankfurt am Main nach Berlin kam. “Es war eine Flucht vor Altlasten, auch vor der Familie”. Sie habe einen Neustart gebraucht.
In aufrechter Haltung sitzt Badia am Tisch, trägt zum blauen Pulli eine perlenverzierte schwarze Mütze. Dass sie keine Wohnung mehr hat, sieht man ihr nicht an. Zu Evas Haltestelle, einer Tagesstätte für obdachlose Frauen im Norden Berlins, komme sie regelmäßig, nicht nur an diesem Montagmorgen. “Man will ja Menschen um sich haben”, sagt sie. Am besten welche, denen es ähnlich ergangen sei. “Jeder hat sein Päckchen zu schleppen.” Hier könne sie sich austauschen.
Nach dem Wohnungslosenbericht von 2022 sind in Deutschland mindestens 263.000 Menschen wohnungslos. In Berlin leben nach einer Straßenzählung von 2020 rund 2.000 Menschen auf der Straße; hinzu kommt nach der Einschätzung von Experten eine hohe unbekannte Dunkelziffer.
Wie viele von ihnen Frauen sind, ist unklar: Sie leben oft in einer versteckten Obdachlosigkeit. Das heißt, sie schlafen zwar nicht auf der Straße, können sich aber auch keine eigene Wohnung leisten – und begeben sich in Abhängigkeiten, um nicht obdachlos zu werden.
Die Zahl obdachloser Menschen sei “erschreckend hoch”, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Besuch der frauenspezifischen Wohnungslosenprojekte des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF). “Das darf uns nicht kalt lassen, das darf uns nicht gleichgültig sein”. Besonders Frauen ohne Obdach seien gefährdet, weil sie auf der Straße oft auch Gewalt ausgesetzt seien, so der Bundespräsident.
Steinmeier kam bei seinem Besuch auch mit Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes ins Gespräch. Sozialarbeiterin Claudia Peiter von “Evas Haltestelle” bezeichnete die aktuelle Wohnungsknappheit als dramatisch: “Wir haben mehr Zulauf, als wir jemals hatten. Es ist tragisch, wenn man sieht, in welche Richtung es sich für die Frauen entwickelt.”
“Evas Haltestelle” bietet Frauen, denen Obdachlosigkeit droht oder die schon auf der Straße leben, eine Anlaufstelle mit Sozialberatung und weiteren Hilfsangeboten. So gibt es Aufenthaltsräume, Bäder, Waschmaschinen und eine Küche. Klientinnen haben dort eine Postadresse, über die sie Amtsbescheide erhalten können. Zudem gibt es in den Wintermonaten eine Notübernachtung.
Housing first für Frauen sieht vor, dass Wohnungslosen zuerst eine Bleibe mit eigenem Mietvertrag zur Verfügung gestellt wird, bevor etwaige weitere Hilfsmaßnahmen – wie etwa psychische Beratung – angeboten werden. Das Konzept entstand in den 1990er Jahren in den USA. Auch in Hamburg, Bremen und Köln gibt es ähnliche Initiativen. Seit Projektbeginn vor vier Jahren konnte der Verein in Berlin mehr als 80 Frauen eine eigene Wohnung vermitteln. Seit ein paar Monaten gibt es eine eigene Warteliste für wohnungslose Frauen mit Kindern.
Bedingung ist, dass die Frauen tatsächlich keine eigene Wohnung haben, aber auch mental fähig sind, eine Wohnung allein zu bewohnen. Zudem werden sie von Sozialarbeitern begleitet und beraten. Die Miete wird, wenn nötig, vom Jobcenter oder Sozialamt bezahlt.
Rike Lehmbach, Sozialarbeiterin beim SkF, erklärte dem Bundespräsidenten, dass die Wohnstabilität – wenn eine obdachlose Frau eine Wohnung vermittelt bekomme – bei nahezu 100 Prozent liege. “Eine Wohnung ist der Kern, von dem aus sich das Leben stabilisieren kann”, sagt auch Steinmeier. Hier könne man neuen Lebensmut und Energie tanken.