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Starke Frau mit starkem Glauben

Inmitten des Drucks der Gegenreformation leistet die Witwe Clara von Kanne in Bruchhausen Widerstand

Im zwölften Teil der 13-teiligen Serie mit Reformationsgeschichten aus Westfalen und Lippe steht eine Frau im Mittelpunkt: Die adlige Witwe Clara von Kanne widersetzte sich der Gegenreformation und erließ für ihren Herrschaftsbereich in Bruchhausen bei Höxter eine eigene Kirchenordnung.

 

Sie muss eine willensstarke Persönlichkeit gewesen sein, diese Clara von Kanne. Nicht nur, dass sie ein ganzes Gut mitsamt dem zugehörigen Dorf Bruchhausen bei Höxter nach dem Tod ihres Mannes allein verwaltet hat; nein, sie hat sich auch gegenüber dem Fürstbischof von Paderborn und dem Abt von Corvey behauptet, die in ihrem Herrschaftsbereich die Gegenreformation durchsetzen wollten. Noch heute wird ihr Gedächtnis in der evangelischen Gemeinde in Bruchhausen hochgehalten – die es vielleicht ohne ihren energischen Widerstand gegen die mächtigen Männer gar nicht mehr gäbe.
Clara stammt aus dem Geschlecht der Cansteins aus der Nähe von Warburg. Sie war wohl erst 26 Jahre alt, als ihr Ehemann, der Guts- und Adelsherr Dietrich II. von Kanne, nach sechs Jahren Ehe im Jahr 1599 starb. Die Witwe stand da mit ihren beiden kleinen Söhnen Dietrich Mordian und Raban, mit einem großen Gut, dem dazugehörigen Dorf Bruchhausen samt dem Patronat über die Kirchengemeinde.
Zunächst blieb sie mit ihren Söhnen, für die sie die Vormundschaft übernahm, auf Gut Bruchhausen wohnen, verwaltete den Besitz und sorgte für die Erziehung der Kinder. Ob sie später, als ihr ältester Sohn heiratete, in ein zuvor gekauftes Haus in Höxter umzog, ist nicht sicher belegt. Claras Spur verliert sich; ab 1617 wird ihr Name nicht mehr erwähnt.
Der evangelische Glaube scheint eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt zu haben. Die Familie von Kanne in Bruchhausen hing seit 1544 der lutherischen Lehre an. In ihrer Hauskapelle wurde seitdem wohl Gottesdienst nach protestantischem Ritus gefeiert. Um das Jahr 1600 herum war auch für die Dorfkirche ein lutherischer Prediger, Heinrich Wedemeyer, tätig. Clara sorgte für ihre Untertanen so, wie Luther es in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ gefordert hatte: Sie fühlte sich ebenso zuständig für deren leibliches Wohl – etwa bei der Armenfürsorge – wie auch für das geistliche, also für die Bildung und die pfarramtliche Versorgung.

Sorge für leibliches und geistliches Wohl

1602 aber wurde diese Haltung plötzlich in Frage gestellt: In diesem Jahr führte der Paderborner Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg wieder eine katholische Agende ein und drängte darauf, diese in seinem Herrschaftsgebiet durchzusetzen. Das aber ließ Clara nicht mit sich machen.
Sie, eine Frau aus dem niederen Adel, zu deren Besitz gerade einmal rund 35 Haushalte gehörten, nahm das Recht eines Landesherrn für sich in Anspruch: nämlich über den Glauben ihrer Untertanen zu bestimmen. Das war möglich, weil der Familie Kanne das Patronatsrecht gehört, also sozusagen der Besitz einer eigenen Kirchengemeinde, in der sie über die Pfarrbesetzung und die Ordnung des Gottesdienstes bestimmen konnte. Dieses Recht konnte Clara auch als Frau ausüben, weil es nicht einzelnen Personen, sondern dem ganzen Geschlecht zukam.
Die „Agenda“ genannte Kirchenordnung ließ Clara von Kanne 1603 in Lemgo drucken. Auf dem Deckblatt heißt es: „Agenda. Das ist: Kirchen Ordenung. Wie es in dieser unser Kirchen zu Bruchhausen mit verkündigung Göttliches Wordts, reichung der heiligen Sacramenten und andern Christlichen handlungen und Ceremonien gehalten werden soll“.
Als Leitvers stellte sie der Ordnung 1. Korintherbrief 14, 40 voran: „Lasset es alles züchtiglich und ordentlich zugehen“. Im Vorwort begründet die Adelsfrau ihre Vorgehensweise: Als Herrin sei sie verpflichtet, nicht nur für das leibliche Wohl ihrer Untertanen zu sorgen, sondern auch für die reine und getreuliche Predigt des Evangeliums. Dazu gehörte die Berufung geeigneter Pastoren und die Einhaltung der Kirchenzucht.

Einsatz für den Glauben wirkt lange nach

Übrigens scheint Claras Widerstand durchaus nachhaltig gewirkt zu haben. Als nämlich rund 50 Jahre später, im Jahr 1656, ihr Enkel (???) Friedrich Mordian von Kanne wieder katholisch wurde, blieb die Bevölkerung von Bruchhausen weitgehend evangelisch. Und heute noch wird in der evangelischen Kirche in Bruchhausen einmal im Jahr aus der Kirchenordnung der Klara von Kanne zitiert: Am Buß- und Bettag spricht die Gemeinde das in der „Agenda“ vorgesehene Beichtgebet.