Berlin – Wohlfahrtsverbände sehen eine allgemeine soziale Dienstpflicht skeptisch. Der soziale Einsatz müsse freiwillig bleiben, mahnte die Diakonie Deutschland. Die AWO sprach von einer „doppelten Mogelpackung“. Der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell hält eine allgemeine Dienstpflicht nur für schwer realisierbar. Mehrere Bundesministerien beurteilten eine Verpflichtung zu gesellschaftlichem Engagement zurückhaltend.
Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas lehnen eine allgemeine Dienstpflicht ab. Eine Sprecherin der Diakonie Deutschland sagte: „Statt einem Gesellschaftsdienst sollten alle nationalen wie internationalen Formate der Freiwilligendienste weiter gestärkt werden, um Menschen für soziale Berufe zu interessieren.“ Die Caritas erklärte: „Ein sozialer Pflichtdienst ist mit nationalem und europäischem Recht nicht vereinbar. Die Freiwilligkeit ist einer Verpflichtung stets vorzuziehen.“
Bethel-Chef Ulrich Pohl hingegen begrüßt die Debatte über ein allgemeines soziales Jahr. „Ich verspreche mir davon mehr Identifikation der jungen Menschen mit unserer Gesellschaft und ein besseres Verständnis für die Lebenslagen unterschiedlicher Menschen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. Das diakonische Unternehmen Bethel habe bereits im vergangenen Jahr einen entsprechenden Vorschlag gemacht.
AWO-Chef Wolfgang Stadler erklärte hingegen: „Die Idee eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres ist eine doppelte Mogelpackung: Weder stärken wir die Solidarität und den Gemeinsinn junger Menschen, wenn wir sie in einen Pflichtdienst zwingen, noch erreichen wir damit etwas gegen den Fachkräftemangel im sozialen Bereich.“
Der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell warnte vor hohen Kosten eines solchen Vorhabens. Selbst wenn es der Politik gelänge, alle rechtlichen Hürden zu nehmen, fehle die staatliche Infrastruktur, sagte der Koblenzer Sozialpolitik-Professor. Die zuständigen Behörden seien sowohl im Bereich der Bundeswehr als auch für den Zivildienst aufgelöst worden. Ihr Wiederaufbau wäre mit enormen Kosten verbunden.
Eine Sprecherin des Innenministeriums sagte in Berlin, dass im Falle einer Dienstpflicht zunächst geklärt werden müsse, ob diese europa- und verfassungsrechtlich überhaupt zulässig wäre. Sie verwies auf Artikel 12, Absatz 2, des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ Das sei allerdings nur in einem „sehr engen Rahmen“ möglich, betonte die Sprecherin.
Ein Sprecher des Familienministeriums sprach von einer „absolut notwendigen“ Debatte, zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken. Es sei gut, wenn Jugendliche sich verpflichteten, soziale Tätigkeiten zu übernehmen. Er verwies zugleich auf die „Erfolgsgeschichte“ beim Bundesfreiwilligendienst mit seit Sommer 2011 bereits etwa 320 000 Freiwilligen.
CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer hatte vorgeschlagen, junge Männer und Frauen ein Jahr lang für soziale oder gemeinnützige Arbeiten zu verpflichten. Sie sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, sie rechne nicht mit einer einfachen Rückkehr zur Wehrpflicht, würde aber gern über eine „allgemeine Dienstpflicht“ reden.epd
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Sozialverbände skeptisch
Sollen Schulabgänger zu einem sozialen oder gemeinnützigen Dienst verpflichtet werden? Lebhafte Debatte über einen Vorschlag von CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer

© epd-bild / Jörn Neumann