München (epd). Die «Sommerschule» für Kinder und Jugendliche soll bundesweit pandemiebedingte Lernrückstände auffangen. Dazu wird in den Sommerferien zwei Wochen lang freiwillig zusätzlicher Unterricht angeboten. In Bayern sollen laut Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) vor allem Lücken in Mathematik, Deutsch und den Fremdsprachen geschlossen werden, gerade bei den schwächeren
Schülern. Warum die Kinderhilfsorganisation SOS-Kinderdorf das Programm in dieser Form kritisch sieht, erklärt die Vorstandsvorsitzende Sabina Schutter im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Frau Schutter, ist die Sommerschule nicht sinnvoll, um verpassten Lernstoff nachzuholen?
Sabina Schutter: Die Pandemie hat die Bildungsungleichheit verschärft. Wer zuhause viel Unterstützung bekam, ist jetzt noch weiter vorne, während benachteiligte Kinder das Bildungsdefizit noch weiter nach hinten drängt. Es muss also die Möglichkeit geben, Lerninhalte nachzuholen und mehr Gleichheit herzustellen. Aber: Mit der Sommerschule, so wie sie konzipiert ist, wird das nicht gelingen. Sie wird die Bildungsunterschiede nicht ausgleichen, weil sie dem gleichen Muster der Bildungsvermittlung folgt wie die reguläre Schule. Kinder waren in der Pandemie eine Verschiebemasse – Kitas und Schulen wurden auf- und zugemacht, und nie wurde gefragt, was die Kinder wollen. Sie wurden auch nicht gefragt, wo ihre Ängste sind – dabei haben gerade die Älteren mitbekommen, dass eine tödliche
Pandemie grassiert, die etwa auch ihre Eltern treffen könnte. Ich denke, dieses Trauma ist relevanter als das, was sie in der Schule verpasst haben. Die Sommerschule ist eine zu kurz gesprungene Antwort darauf.
epd: Was sollte die Politik stattdessen anbieten?
Schutter: Es geht darum, vielfältigere Bildungsformen zu verankern, also formelles und informelles Lernen zu verbinden. Informelles Lernen findet in Lebenszusammenhängen statt. Wenn es gelänge, neue Lernformen in der Schule zu etablieren, könnte man bei allen Belastungen sogar aus Corona noch einen positiven Effekt ziehen. Es wäre doch toll, das im Sommer auszuprobieren: Spiele, Aktionen, gemeinsame Projekte statt Schule wie gehabt. Die Pandemie hat leider auch gezeigt, dass die Gesellschaft in Ausnahmesituationen – zack – wieder in die alten Muster verfällt. Es braucht mehr politischen Gestaltungswillen. Dazu gehört auch, ein paar Jahre vorauszudenken und einen Handlungsplan zu entwerfen – etwa dafür, dass Kleinbetriebe wegen Corona keine Azubis mehr einstellen. Es braucht Maßnahmen, damit die jungen Leute nicht das Gefühl bekommen, die «Generation Corona» zu sein.
epd: Sie berufen sich bei der Ablehnung der Sommerschule auf das UN-Kinderrecht auf Freizeit und Erholung. Was beinhaltet dieses – und was heißt es, dass es die Kinderrechte immer noch nicht ins Grundgesetz geschafft haben?