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Sommerinterview Stäblein

Bischof Stäblein im Sommerinterview

Bischof Christian Stäblein hat sich für eine Frauenquote für die mittlere Führungsebene in der Kirche ausgesprochen. Im Gespräch mit Corinna Buschow und Jens Büttner vom Evangelischen Pressedienst (epd) spricht er konkret über Superintendentinnen. Zudem glaubt der Bischof der EKBO, dass Frauen im Wahlkampf anders behandelt werden und seine Kirche bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt mehr auf externe Unterstützung setzen sollte.

Bischof Stäblein, der Bundestag geht in die Schlussrunde, die ­Debatten sind schon sehr vom Wahlkampf geprägt. Wie erleben Sie als Bischof der EKBO gerade die ­politische Landschaft?

Die Bekundungen der Parteien, faire und kommunikative Auseinandersetzungen führen zu wollen, waren eigentlich ein guter Auftakt. Aber inzwischen ist der Ton in allen Bereichen sehr rau geworden, scheint mir. Schockiert hat mich die Anzeigenkampagne gegen Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), in der sie mit Steintafeln als Mose dargestellt wird. Ohnehin wird nach meinem Eindruck mit Frau Baerbock an vielen Stellen in unzumutbarer Weise umgegangen. Wir müssen stark darauf achten, dass während des Wahlkampfs Kommunikation und Umgang miteinander fair bleiben.

Wird mit Frauen im Wahlkampf ­anders umgegangen als mit ­Männern?

Ich finde ja, so erschreckend es ist. Auch Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) hat ohne Frage einiges aushalten müssen. Aber das waren in der Regel keine Angriffe auf die persönliche Integrität. Das scheint schon etwas mit dem ­Gender-Thema zu tun zu haben. Die Polarisierungen – auch in der Sprache – haben zugenommen.

Wie halten Sie es denn mit dem Genderstern?

Ich variiere viel. Ich nehme mal den Schrägstrich, mal das Binnen-I, manchmal den Stern, manchmal den Doppelpunkt, manchmal rede ich nur in der männlichen oder nur in der weiblichen Form. Auch in der Gottesanrede und auch in der ­Segensformel variiere ich. Das ist mir wichtig: Wir identifizieren Gott nicht mit einem Geschlecht, und wir fixieren ihn nicht auf ein Geschlecht.

Das Thema polarisiert inzwischen ähnlich stark wie etwa die Zuwanderungspolitik. Ist das in der Kirche auch so?

Das erlebe ich immer wieder, ­zuletzt bei der Veröffentlichung ­feministischer Tageslosungen über unsere Social-Media-Kanäle. Da gab es heftige Reaktionen. Es ist richtig, darüber zu diskutieren. Wie wir als Kirche streiten, sollte aber auch beispielgebend für die Gesellschaft sein – deutlich in der Sache und stets mit Respekt vor der Person. Sprache ist wichtig, bringt aber nicht allein mehr Gerechtigkeit.

Sondern?

Wir müssen auch in der Kirche mehr dafür tun, dass Frauen Führungspositionen bekleiden. In meiner Landeskirche wird etwa über eine Quote in der mittleren ­Führungsebene, konkret bei den ­Superintendenten, diskutiert. Ich bin dafür. Wir haben gesehen, dass wir anders bislang nicht weitergekommen sind.

Bei der Anzeige gegen Baerbock ging es vor allem um den Vorwurf, antisemitische Klischees zu verbreiten. Teilen Sie diesen?

Das vor allem hat mich erschreckt: diese antijüdische Ikonographie. Beim Thema Antisemitismus müssen wir sehr wachsam ­bleiben. Das haben wir gesehen bei den antisemitischen Rufen bei den Pro-Palästina-Demonstrationen. Und wir sehen es bei den Verschwörungsmythen der „Querdenken“-Bewegung. Dem Antisemitismus müssen wir uns vehement entgegenstellen.

Ein anderes Thema in der Politik der vergangenen Monate war die Sterbehilfe. Eine gesetzliche Neuregelung für die Suizid­assistenz ist nicht mehr zustande gekommen. Bedauern Sie das?

Ich glaube, für unseren inneren Diskussionsprozess ist der Zeitgewinn gut. Andererseits ist die Gesellschaft durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch unter Druck. Wir haben eine Aufgabe, die nun geregelt werden muss.

Das Bundesverfassungsgericht hat vor allem das Recht auf selbst­bestimmtes Sterben und damit in gewisser Weise zur Suizidassistenz betont. Was sollte der Gesetzgeber regeln?

Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass neben dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch andere Aspekte von größtem Gewicht sind. Das ist die Pflicht zu einer breiten Suizidprävention. Da müssen wir als Gesellschaft mehr tun. Es geht außerdem um den Ausbau und die Unterstützung von Palliativ- und Hospizversorgung. Wir sollten die Not der Menschen nicht negieren, aber auch nicht aus der Not das ­Regelangebot des assistierten Suizids machen.

Wie stehen Sie zu der Forderung, assistierten Suizid auch in ­kirchlichen Einrichtungen zu ermöglichen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einer kirchlichen Einrichtung assistierter Suizid zum Angebot gehört. Dort herrschen höchste ethische Maßstäbe. Es geht aber auch den Befürwortern um das Ausloten der Möglichkeiten für Ausnahmefälle und nicht um die Aufnahme eines Regelangebotes in das Portfolio einer diakonischen Einrichtung.

Wie soll denn ein Pflegeheim mit jemandem umgehen, der das dennoch wünscht?

So unbefriedigend die Antwort klingen mag: Das muss man im ­jeweiligen Einzelfall entscheiden. Mitarbeiterinnen von Pflegeheimen haben mir geschildert, dass der Wunsch nach Suizidassistenz ­verschwindet, wenn die Menschen intensiv begleitet werden. Diesen Raum müssen wir eröffnen. Ich bin jedenfalls froh, dass nach den bisher vorliegenden Vorschlägen Einrichtungen nicht gezwungen werden sollen, so etwas anzubieten.

Sollte am Ende der innerkirch­lichen Diskussion eine neue Positionierung oder Klarstellung des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) stehen?

Das kann ich mir vorstellen. Diese Debatte hat uns vorwärts gebracht. Ich bin zuversichtlich, dass wir es inner-evangelisch schaffen, die Diskussion so zu führen, dass wir am Ende einen breiten Konsens haben und kein Zerwürfnis. Es gibt gerade auch bei tief existenziellen Fragen eine evangelische Orientierung, innerhalb derer verschiedene Positionen möglich sind.

Ein großes Thema auch für die evangelische Kirche ist die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt. Was muss Ihrer Meinung nach ­geschehen, um Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen?

Ich finde es schmerzlich, dass der Betroffenenbeirat der EKD erst einmal gescheitert ist. Das ist bitter. Es geht ja gerade darum, die Betroffenen in die Aufarbeitung einzubeziehen. In der Landeskirche haben wir einige wichtige Schritte auf den Weg gebracht und eine unabhängige Kommission eingerichtet, ein Kirchengesetz zum Schutz vor ­sexualisierter Gewalt verabschiedet und Anlaufstellen eingerichtet.

Dennoch bleiben Zweifel an einer ernstgemeinten, unabhängigen Aufarbeitung bei Betroffenen. Muss die Kirche das in externe Hände geben?

Ja, möglicherweise muss man hier mehr extern abgeben. Wir haben ja die größeren Studien dazu seit längerer Zeit extern vergeben, was ich auch für sehr wichtig halte. Es kann bei der Aufarbeitung nie so sein, dass die Organisation das allein tut.

Die Rede ist in dem Zusammenhang oft von Deutungshoheit – kann die Kirche die einfach nicht aufgeben?

Ich glaube, dass es eine Menge Leute in den Kirchen gibt, die dies beherzigen. Trotzdem gibt es immer wieder Fragen, etwa ob die „unabhängige Kommission“ unserer ­Landeskirche wirklich unabhängig ist, wenn sie von den Kirchenleitungen eingesetzt wird. Das Wichtigste ist: Es muss um rückhaltlose Aufklärung und Transparenz gehen.

Mit dem Sommer entspannt sich die Corona-Infektionslage. Haben Sie Hoffnung, dass bald wieder große Gottesdienste mit vielen Menschen möglich sind und dabei gesungen werden kann?

Es darf in unseren Kirchen in Berlin, Brandenburg und Sachsen bereits wieder gesungen werden, und es können auch wieder deutlich mehr Leute in die Gottesdienste kommen. Ich bin also guter Dinge. Die Sehnsucht nach dem Singen und der physischen Rückkehr in die ­Kirchen ist enorm groß.

Was darf als Lehre aus der Pandemie bleiben, was muss verschwinden?

Bleiben darf, dass wir Möglichkeitsräume dazugewonnen haben über die Digitalisierung. Wieder verschwinden dürfen das Misstrauen und die Angst vor dem Nächsten, die in uns alle so ein bisschen einge­zogen sind. Dieses Misstrauen hat unsere Gesellschaft wie ein schleichendes Gift durchzogen und ist auch ein Faktor bei den Empörungswellen geworden. Dass sich das ­wieder ändert, daran müssen wir als Kirche mitarbeiten.