Die dreiteilige NDR-Dokumentation „Shlomo- Sehnsucht nach Rache“ erzählt in einer eindrucksvollen Mischung aus Originalaufnahmen aus den 80er Jahren und aktuellen Bildern die Geschichte der schicksalhaften Begegnung zwischen Shlomo Szmajzner, einem der wenigen Überlebenden des Vernichtungslagers Sobibor im heutigen Polen, und seinem Peiniger, dem damaligen Oberaufseher und SS-Mann Gustav Wagner, im Jahr 1979 in Saõ Paulo.
Ein Zusammentreffen mit Folgen
Die Männer treffen sich nach 35 Jahren auf einer Polizeistation am anderen Ende der Welt. Beide waren nach Brasilien gekommen, um ein neues Leben zu beginnen. Ihre Motive könnten dabei unterschiedlicher nicht sein. Ebenso unfassbar wie dieses Treffen sind bis heute die Gräueltaten, die sich im deutschen Vernichtungslager im heutigen Südosten Polens abspielten.
Hier war Wagner, genannt „die Bestie von Sobibor”, mitverantwortlich für die Ermordung von bis zu 250.000 jüdischen Menschen. Zeitzeugen und Historiker berichten in der Serie, dass sich Wagner durch seine präzise und besonders grausame Art unveränderlich in das Gedächtnis aller 300 Überlebenden einbrannte. Der damals 15-jährige Shlomo überlebte nur, weil er sich als gelernter Goldschmied geistesgegenwärtig in den Dienst der Lageraufseher stellte. Er weiß nicht, dass seine Familie währenddessen in den Wäldern von Sobibor einen grausamen Tod findet.
“Was würdest du tun, wenn du dem Mörder deiner Familie begegnest?”
Die Filmemacher Antonius Kempmann und Martin Kaul werfen die moralische Frage auf: Was würdest du tun, wenn du dem Mörder deiner Familie begegnest? Und was, wenn diejenigen, die für Gerechtigkeit sorgen sollten, es nicht tun? Denn genau das geschieht: Die brasilianische Justiz spricht Wagner von allen Vorwürfen frei, verjährt seien alle seine Kriegsverbrechen. Zwei Jahre später wird der ehemalige SS-Mann, der nach dem Zusammentreffen mit Szmajzner vermehrt mit seinen eigenen Dämonen kämpft, mit Stichwunden im Rücken tot in seinem Haus im brasilianischen Hinterland aufgefunden. Offizielle Todesursache: Suizid. Doch kann das sein?
Die NDR-Reporter begeben sich mit den Zuschauern auf eine Reise durch Sobibor, Brasilien und die Geschichte der beiden Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Wagner zu Lebzeiten vehement abstreitet, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, spricht Shlomo mit den Medien über seinen Wunsch, Wagner umzubringen. Ist der Überlebende des Vernichtungslagers Sobibor tatsächlich ein Mörder?
Szmajzner bleibt ein Mysterium
Die beeindruckende Dokumentation in drei Teilen erzählt gewissenhaft eine unglaubliche Geschichte, die man gesehen haben muss. Von Rachegelüsten und Sühne, aber auch von unaushaltbaren Traumata und dem unbändigen Willen, die Machtlosigkeit des Opferseins zu überwinden. Sie zeichnet die Biografie Szmajzners einfühlsam nach und zeigt einen Mann, der Zeit seines Lebens ein Mysterium bleibt, weil er einen Ort sah, den nur sehr wenige lebend wieder verließen. Nach seinem Tod im Jahr 1989 sagt ein Freund über ihn: „Shlomo hat keinen Frieden gefunden, aber er hat Wagner seinen genommen.“