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Schwimmen unterm Kirchsaal

Schlicht und praktisch: Hinter der Fassade des Diakonissen-Mutterhauses in Elbingerode versteckt sich eine faszinierende Architektur aus der Zeit des Bauhauses.

Die Ideen des Neuen Bauens aus der Bauhaus-Zeit stecken im Diakonissen-Mutterhaus Neuvandsburg in Elbingerode in unzähligen Details. Farbgestaltung, Materialien, Wände und Fußböden, selbst die Garderobenhaken sowie die Tischbeine im großen Speisesaal: Alles ist irgendwie Bauhaus-Stil. Anfang der 1930er Jahre entstand in dem kleinen Ort im Harz ein hochmoderner Neubau für die damals wachsende Schwesternschaft, der noch heute ein Zentrum für evangelische Diakonie und Mission ist. Immer wieder betritt eine Schwester in Schwesterntracht mit dunklem Kleid und weißer Haube das Gebäude, an dem der Schriftzug „Neuvandsburg“ in Großbuchstaben prangt.

Im Jahr 1934 wurde das Gebäude eingeweiht

Schwester Cornelia führt durch das Haus, das sie seit Jahrzehnten kennt, und ihr Zuhause ist. Sie kam als 19-Jährige nach Elbingerode, hatte einige Einsätze an anderen Stationen. Sie habe sich „von Gott wirklich berufen gefühlt“, diesen Weg einzuschlagen, sagt die 76-Jährige. „Das ist für mich der Platz meines Lebens.“ Fast 150 Schwestern leben heute noch auf dem Gelände rund um das Diakonissen-Mutterhaus, auch im angeschlossenen Seniorenheim, die meisten sind im Rentenalter. Nachwuchs gibt es nicht mehr.

Auf das 1934 eingeweihte und bis heute gut erhaltene Gebäude selbst ist die Elbingeröder Schwesternschaft stolz. Vieles, was damals praktisch war, funktioniert bis heute. Dazu gehören die Wandverkleidungen, in den Wänden eingebaute Hängeschränke, Beleuchtungskonzepte oder die Garderoben und Toiletten neben dem riesigen Kirchsaal. Der Eingang zum Kirchsaal erinnert an einen Theaterbereich. Die weiten Treppenaufgänge mit Geländer ähneln denen im Bauhaus Dessau. Überall im Haus verteilt finden sich immer wieder Rundungen oder Kreise. Alles wurde über die Jahre gut gepflegt und erhalten.

Verantwortlich für den Bau war der aus Erfurt stammende Architekt Godehard Schwethelm (1899-1992). Er war von den Ideen des Bauhauses, das 1919 von Walter Gropius (1883-1969) in Weimar gegründet wurde, inspiriert. Er entwarf für die Schwesternschaft Neuvandsburg einen Stahlskelettbau. Er soll damals einige Zeit in Elbingerode gelebt haben, um zu erspüren, was die Schwestern in ihrem Alltag im Mutterhaus brauchten, berichtet Schwester Cornelia. So entstand schließlich alles unter einem Dach, von der Verwaltung bis zum großen Speisesaal.
Architektonisches und in dieser Form einzigartiges Highlight ist ein Schwimmbad, das direkt unter dem Kirchsaal liegt. Damals stand die zuständige Oberin vor der Wahl, wie die Überproduktion der Heizkessel genutzt werden sollte: Gewächshaus oder Schwimmbad. Sie entschied sich für das Bad, das der sportlichen Betätigung und der gesunden Lebensweise der Diakonissen dienen sollte. Früher gab es sogar noch ein Sprungbrett.

Noch heute wird das Schwimmbad genutzt. Gleich hinter dem Kirchsaal führt eine steinerne Wendeltreppe hinab zum Badebereich. Dort herrscht Betriebsamkeit. Auch Patienten der nahe liegenden Klinik oder Vereine kommen in das Schwimmbad.
Der Kirchsaal darüber ist flexibel nutzbar, 700 Menschen haben darin Platz. Gottesdienste finden hier nur noch an Sonntagen statt, für die Andachten reicht ein kleinerer Raum aus. Der Architekt ließ damals auch eine herausziehbare Leinwand einbauen. Stühle und Kanzel sind nicht fest installiert. Schwester Cornelia fasst den Anspruch des Architekten Schwethelm zusammen: Er wollte unter drei Gesichtspunkten bauen, „so praktisch, so ästhetisch und so dauerhaft wie möglich“. Der Rundgang fühlt sich ein wenig wie ein Museumsbesuch an. Doch diesen Vergleich will Schwester Cornelia nicht gelten lassen: „Dieses Haus lebt und funktioniert ja noch.“