Die Bundesregierung bemüht sich weiterhin, die Debatte um eine schnelle Rückkehr syrischer Geflüchteter aus Deutschland in deren Heimat zu beenden. Noch gebe es in dem Land eine „sehr, sehr gefährliche Situation“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, es sei vollkommen unklar, wie die Zukunft Syriens nach dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad durch die islamistische Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) aussehen wird.
Wegen des Bürgerkriegs in Syrien, der 2011 mit einem Volksaufstand gegen das Assad-Regime begonnen hatte, waren Hunderttausende aus dem Land nach Deutschland geflohen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums leben knapp eine Million aus Syrien stammende Menschen in Deutschland.
Scholz sagte am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“, Deutschland müsse zusammen mit anderen Staaten alles dafür tun, dass ein demokratisch geführtes Land entsteht, in dem Menschen unterschiedlicher Religionen gut zusammenleben können. „Vielleicht, wenn es gut geht, werden ja viele von sich aus sagen, dass sie am Wiederaufbau ihres Landes mit teilhaben wollen“, sagte der Bundeskanzler Olaf Scholz.
Baerbock sprach am Mittwoch in Berlin von einem „Moment der Hoffnung“ nach dem Sturz Assads. Doch die Situation sei alles andere als stabil. Es gebe weiter Kämpfe sowie Angst und Sorgen, dass die Hoffnung trügen könne.
Zur Debatte um den Umgang mit syrischen Flüchtlingen in Deutschland sagte die Außenministerin, manche Aussagen seien schon „befremdlich“. Die gleichen Stimmen, die vor einigen Wochen noch eine Normalisierung der Beziehung zum Assad-Regime mit dem Ziel von Abschiebungen gefordert hätten, verlangten nun eine schnelle Rückkehr von Syrern nach dem Sturz des Regimes. Hier sei der „Realitätssinn“ nicht sehr ausgeprägt.
Für die humanitäre Hilfe in Syrien stellt das Auswärtige Amt zusätzliche acht Millionen Euro zur Verfügung. Auch die Hilfe für die syrischen Flüchtlinge in den Nachbarländern des Krisenstaates werde „angepasst“, sagte Baerbock.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte zur Debatte über die Syrerinnen und Syrer in Deutschland: „Es ist absolut unseriös, jetzt über Abschiebungen oder die Rücknahme des Schutzstatus zu spekulieren, wo noch niemand weiß, wie sich die Lage entwickelt.“ Sie sprach von einem „historischen Zeitfenster“, in dem man die Entwicklung in Syrien zum Positiven beeinflussen könnte.
Der Osnabrücker Migrationsforscher Jochen Oltmer hält es für unwahrscheinlich, dass die nach Deutschland gekommenen Syrerinnen und Syrer nun schnell und in der großen Mehrheit in ihre Heimat zurückkehren. Viele sähen ihre Zukunft in Deutschland. Es werde sicher einige Rückkehrwillige geben, wenn sich die Lage in Syrien stabilisieren sollte. „Aber diese Zahl sollte man nicht überschätzen“, sagte der Professor an der Universität Osnabrück der „Augsburger Allgemeinen“ (Mittwoch) und fügte zur Begründung hinzu: „Alle Erfahrungen zeigen, dass geflüchtete Menschen sehr viele Bindungen in der Ankunftsgesellschaft entwickeln.“
Der Menschenrechtler Kamal Sido sieht die Lage in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes als zunehmend gefährlich an. Es gebe immer mehr Berichte über Misshandlungen und Drangsalierung von Minderheiten durch Angehörige der nun regierenden islamistischen Miliz, sagte Sido dem Evangelischen Pressedienst (epd). Einige Islamisten hätten sogar angekündigt, bis nach Jerusalem vorzurücken, um Israel und die Juden zu vernichten. „Meine anfängliche Freude ist mittlerweile in Angst, Trauer und Bitterkeit umgeschlagen“, sagte der seit 34 Jahren in Deutschland lebende Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker mit Sitz in Göttingen.