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Rhodos: Sonne, Meer und dunkle Geschichte

Die beliebte griechische Ferieninsel Rhodos trägt grausame Spuren aus der Zeit des Nationalsozialismus gegenüber der jüdischen Gemeinde in ihrem Gedächtnis. Wir gehen auf Spurensuche.

Rhodos-Stadt an der Nord-Ost-Spitze der Insel
Rhodos-Stadt an der Nord-Ost-Spitze der InselChristian Zeiske

Rhodos, Ferieninsel, beliebt nicht zuletzt bei deutschen Touristinnen und Touristen – und zwar zu Recht! Sonne, Meer, herrliche Landschaften im Inneren der Insel, selbst nach den verheerenden Bränden im vergangenen Jahr. Damit nicht genug: Kultur und Kunst im Überfluss, eine komplett aus­gegrabene dorische Stadt aus dem 4. Jahrhundert vor Christus, hellenistische Tempel, byzantinische Kirchen mit ihren herrlichen Malereien, osmanische Moscheen und Häuser, italienische Bauten in verschiedenen Stilrichtungen. Über allem aber eine völlig erhaltene Stadt aus dem Mittelalter, von den Kreuzfahrern erbaut. Rhodos ist unbedingt eine Reise wert!

Rhodos: Früher gab es hier ein Rabbinerseminar

Wohin man in Europa und Nordafrika auch reist, die Nationalsozialisten waren schon vorher da. Ihre grausame Herrschaft hat eine mörderische Spur hinterlassen. Die jüdische Gemeinde von Rhodos haben sie erst interniert, dann mit Kohleschiffen nach Athen und von dort mit Güterzügen nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten. Bis heute gibt es in Rhodos im Grunde keine jüdische Gemeinde mehr. Einige wenige wohnen auf der Insel. Sie pflegen die mittel­alterliche Synagoge, eine der größten und schönsten Griechenlands und ein kleines Museum. Gottesdienste können nur in Ausnahmefällen und zu ganz besonderen Gelegenheiten gefeiert werden.

„Platz der Märtyrer" mit Denkmal an die Deportation im ehemaligen jüdischen Viertel
„Platz der Märtyrer" mit Denkmal an die Deportation im ehemaligen jüdischen ViertelChristian Zeiske

Es lohnt ein Blick in die reiche Geschichte dieser Gemeinde, um zu ermessen, was die Nazis mit dem Mord an Jüdinnen und Juden auch an Kultur und ­Tradition zerstört haben. Bereits im 2. Jahrhundert vor Christus gab es eine bedeutende jüdische Gemeinde in Rhodos, die im 1. Makkabäerbuch (15,23) erwähnt wird. Im Laufe der Geschichte gab es auch Pogrome. Aber durch die im 15. Jahrhundert aus Spanien geflohenen Juden wuchs die Gemeinde enorm. Sie brachten die sephardische Tradition aus Spanien mit, so auch das Ladino, eine aus Hebräisch und Spanisch gemischte Sprache. Bis zur Deportation der jüdischen Gemeinde wurde es in Rhodos gesprochen. Im 19./20. Jahrhundert existierte sogar ein Rabbinerseminar.

Als die Nazis nach Rhodos kamen

Unter der 400-jährigen Herrschaft der Osmanen im 16. bis 20. Jahrhundert ging es der jüdischen Gemeinde relativ gut. Juden durften in der Stadt wohnen, während die Griechen sie täglich um 6 Uhr abends verlassen mussten. Als die Italiener Anfang des 20. Jahrhunderts die Insel eroberten, führten sie anti­jüdische Gesetze ein, auch „Rassegesetze“. Ihre Listen verwendeten die Nazis weiter. Unter Generalleutnant Ulrich Kleemann besetzen die Deutschen 1943 die Insel und führten sich anfangs höflich auf, sodass Juden nicht ahnten, was ihnen bevorstand. Eine Flucht in die Türkei wäre nicht schwierig gewesen, die türkische Küste liegt in Sichtweite.

Gedenken im Juli 2021 in der Synagoge
Gedenken im Juli 2021 in der SynagogeMaria Volanakis

Im Juli 1944 befahl man alle jüdischen Männer in das Hauptquartier der Nazis. Sie sollten ihre Ausweise mitbringen, da man sie registrieren wolle. Diese kamen und schöpften keinen Verdacht. Als sie im deutschen Hauptquartier eingetroffen waren, schloss man sie im Gebäude und dazugehörigen Hof ein. Sogleich forderte man ihre Frauen auf, ebenfalls zu kommen und Kinder, Gepäck und Wertsachen mitzubringen. Kämen sie nicht, würde man ihre Männer erschießen. Frauen und Kinder folgten dem Befehl und wurden ebenfalls in dem Gebäude inhaftiert.

Juden wurden zum Hafen getrieben und abtransportiert

Am 23. Juli, einem Sonntag, an dem die Geschäfte der Griechen geschlossen hatten, lösten die Nazis Luftalarm aus, die griechische Bevölkerung blieb daher in ihren Häusern. In diesem Zeitraum ­wurden die Jüdinnen und Juden mit Gewehrkolben und scharfen Hunden vom Hauptquartier zum Hafen getrieben, auf Kohleschiffe gepfercht und über Kos, wo auch noch einige Juden dazu geladen wurden, abtransportiert. Unverzüglich plünderten die Nazis die leer­stehenden jüdischen Häuser. Unermessliches Leid und Grauen begann.

Heute erinnern die Synagoge und ein großer schwarzer, sechseckiger Stein auf dem zentralen Platz des ehemaligen jüdischen Viertels an die Deportation. Dieses Viertel ist ein Magnet für Touristen aus aller Welt. Vermutlich wissen viele nicht, dass es einmal ein jüdisches Quartier mit einer lebendigen Geschichte war.

Der heute gern von Touristen besuchte Platz, an dem jüdische Gold- und Fischhändler sowie Trödler ihre Geschäfte hatten. Das große Haus mit dem Walmdach links im Hintergrund ist das ehemalige jüdische Bankhaus Alhadef
Der heute gern von Touristen besuchte Platz, an dem jüdische Gold- und Fischhändler sowie Trödler ihre Geschäfte hatten. Das große Haus mit dem Walmdach links im Hintergrund ist das ehemalige jüdische Bankhaus AlhadefDorle Simon-Zeiske

In diesem Jahr wird der 80. Gedenktag an die Deportation in Rhodos und Kos begangen. Die Deutsche Botschaft wird durch den Botschafter Andreas Kindl anwesend sein, ebenso die Orthodoxe Kirche mit ihrem Bischof sowie der Bürgermeister von Rhodos. Auch die kleine deutschsprachige evange­lische Gemeinde beteiligt sich an der Gedenkwoche, die eine Reihe von Veranstaltungen und Gottesdiensten umfasst. Zwei deutsche Freiwillige von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und Filoxenia, einer griechisch-deutschen Jugendorganisation, bereiten das Gedenken mit vor und sind dabei. Die Journalistin Irene Daenzer-Vanotti aus Deutschland wird in einer Sendung im BR und für den Evangelischen Pressedienst (epd) berichten. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat die Herstellung und den Versand von Flyern finanziert.

Warum ist das Gedenken auch für uns Deutsche so wichtig? Urlauberinnen und Urlaubern begegnet auf Rhodos ein kulturelles Erbe, das weitgehend aus einer Zeit stammt, in der es dort eine große jüdische Gemeinde gab. Auch in anderen Ländern Europas stoßen Touristinnen und Touristen auf Gedenkstätten, an denen Deutsche zerstört und gemordet haben. Das Gedenken an dieses Unrecht kann Menschen stärken und ermutigen, sich gegen Rechtsradikalismus in Deutschland zu stemmen. Dazu gehört auch der Gedenktag am 23. Juli an die Ereignisse in Rhodos.

Zum Autor: Christian Zeiske war 2021/2022 Pfarrer in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde Rhodos. Auch im Juli ist er wieder dort. Am 23. Juli wird er beim 80. Gedenktag für die von den Nationalsozialisten deportierten jüdischen Menschen mit dabei sein. Bis heute gibt es dort keine jüdische Gemeinde mehr.