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Reinblasen und sich wohlfühlen

Blockflötistin Dorothee Oberlinger über eines der ältesten Instrumente der Welt, Imageprobleme, Hausmusik und musikalische Herausforderungen

Dass sie eine der besten Blockflötistinnen der Welt ist, lässt sie den Besucher nicht spüren. Wer allerdings ihr Spiel hört, weiß, warum Dorothee Oberlinger regelmäßig mit Auszeichnungen bedacht wird. Ihre ersten Erfolge feierte sie mit der Alten Musik, also der Interpretation von Kompositionen in der Zeit vor 1750. Im Interview mit Joachim Heinz spricht die dreifache Echo-Preisträgerin über die Faszination für ein zu Unrecht verkanntes Instrument, Hausmusik und ihre Zusammenarbeit mit den Elektropop-Pionieren von Yello.

Frau Oberlinger, mit der Blockflöte verbinden viele Menschen ja eher unangenehme Erinnerungen aus der eigenen Jugend…
Das alte Imageproblem der Blockflöte. In der Grundschule waren früher oft Lehrer am Start, die das Instrument überhaupt nicht spielen konnten, was bei den Schülern teilweise Schockreaktionen hervorgerufen hat. Irgendwie verständlich, wenn 30 Mädchen und Jungen die Löcher der Flöte nicht richtig abdecken und es dermaßen quietscht, dass man sich am liebsten die Ohren zuhalten möchte.

Sie machen nicht unbedingt den Eindruck, als hätten Sie je mit einem derartigen Trauma zu kämpfen gehabt…
Bei mir ging der Unterricht eigentlich im Elternhaus los. Meine Mutter ist Querflötistin und hatte sich selbst und mir, als ich sechs Jahre alt war, eine Flöte aus dem Urlaub mitgebracht. Wir haben das dann zusammen erlernt. Ich habe aber bald schnellere Fortschritte als meine Mutter gemacht, so dass sie sagte, sie müsse mich jetzt in „professionelle Hände“ geben. Ich hatte dann über die Jahre sehr gute Lehrer. Nach und nach reifte der Plan, daraus einen Beruf zu machen.

Läuft man aber nicht Gefahr, mit der Flöte zum Außenseiter zu werden, wenn die anderen alle E-Gitarre oder Schlagzeug spielen?
Überhaupt nicht. Unter Jugendlichen spielt das auch keine so große Rolle. Bei den Erwachsenen ist das anders. Die suchen sich manchmal einen Sündenbock in der Musik. Dann müssen Flöte oder auch Bratsche für den ein oder anderen Scherz herhalten.

Gibt es einen Flöten-Witz, über den Sie noch lachen können?
Bei Facebook habe ich neulich so eine Zeichnung mit einer streng aussehenden Lehrerin gesehen, die die Flöte ganz verkniffen im Mund hatte. Darunter stand: „Du sollst nicht flöten“ – in Anlehnung an „Du sollst nicht töten“. Das fand ich ganz nett.

Sie sind in einem evangelischen Pfarrhaus groß geworden. Hat das Ihr Verhältnis zur Musik beeinflusst?
In einem evangelischen Pfarrhaus bietet es sich natürlich an, Musik zu machen, weil es viele Gelegenheiten gibt, bei Festen oder Gottesdiensten aufzutreten. Oft kommen Musiker aus Pfarrhäusern. Irgendwo scheint es also einen Zusammenhang zu geben.

Was sagen Sie Eltern, die musikalisch nicht so „vorbelastet“ sind und überlegen, ob ihr Kind ein Instrument lernen soll?
Ich glaube, dass das Musikmachen total wichtig ist. Es ist eine Erfahrung in der Gruppe, es schult die Konzentration der Kinder, hinzuhören, aufeinander zu reagieren und nicht die ganze Zeit am Computer oder am Smartphone zu hängen.

Ist die durchdigitalisierte Generation denn noch für so etwas wie analoge Musik zu begeistern?
Wenn ich in Schulklassen gehe und ein bisschen von meinem Musikleben erzähle und mein Instrument mitbringe, lieben die Kinder die Flöte. Weil sie etwas Unmittelbares hat. Man bläst ja direkt hinein, das Instrument ist aus Holz, also aus einem Naturstoff, es gibt keine Klappen, man hat direkt die Löcher und hat dieses haptische Erlebnis. Die Flöte ist eine Verlängerung des Körpers und fast wie die menschliche Stimme.

Früher gab es Abende, wo die gesamte Familie musiziert hat. Dieses Ritual der Hausmusik verbinden manche mit quälenden Momenten. Aber sind es andererseits nicht gerade Gemeinschaftserlebnisse, die dazu beitragen, dass Kinder ihr Instru­ment mit Freude lernen?
Ich finde, man sollte die Eltern unbedingt dazu ermuntern, sich aufzuraffen und selber mitzumachen. Sonst gibt es vielleicht irgendwann einen Riss in dieser wunderbaren Musiktradition.

Sie unterrichten selbst am Mozarteum in Salzburg und kommen dort mit Musikern aus aller Herren Länder zusammen. Wie steht es in anderen Gegenden der Welt um die Flöte?
Die Flöte ist vielleicht das älteste Musikinstrument der Menschheit. Es ist schon interessant, dass sie heute fast überall im Musikunterricht eine große Rolle spielt. Die Unterschiede hört man beim Spiel. Die deutsche Musik hat beispielsweise einen sehr artikulierten Ausdruck, die italienische Musik ist verschliffener, hat mehr Singsang, genauso wie die Sprache. Und das übernehmen die Flötenspieler dann auch.

Hängt der Klang auch mit der Beschaffenheit der Flöte zusammen?
Manche Flöten sind aus Ahornholz, das ist ein sehr leichtes Holz und klingt dann auch extrem weich. Dann gibt es Buchsbaum oder Grenadill, ein sehr hartes, schwarzes Tropenholz. Manche Flöten sind sogar aus Elfenbein oder Mammut-Elfenbein.

Die Stradivaris unter den Flöten.
Naja, ganz so wie bei den berühmten Violinen ist es nicht. Es gibt natürlich auch historische Instrumente. Leider besitze ich keines, und wenn ich eines besitzen würde, wäre es nichts, was ich regelmäßig im Konzert einsetzen könnte. Eine Geige kommt ja nicht direkt mit Feuchtigkeit in Berührung, aber eine Flöte schon, weil man hineinbläst. Das alte Holz würde dann sehr leiden und sich direkt verziehen oder reagieren. Aber ich habe Nachbauten von historischen Originalen.

Wie war das zu früheren Zeiten: Gab es da auch große Sammler vor dem Herrn?
Die Hochzeit der Blockflöte lag in der Alten Musik, also in der Zeit der Renaissance. Mir fällt da spontan der englische König Heinrich VIII. ein, der um die 100 Flöten selber besessen hat, an seinem Hof einen richtiges Flötenensemble beschäftigte und ein echter Fan dieses Instruments war. In dieser Zeit hat man begonnen, die mehrstimmige Chormusik auf Flöten und anderen Instrumenten nachzustellen.

Wie ging es danach weiter?
Im Barock entwickelte sich die Flöte mehr zu einem Einzelinstrument. Komponisten wie Bach, Vivaldi oder Telemann haben ihr tolle Solopartien gewidmet. Anschließend fiel die Flöte in einen Dornröschenschlaf.

Wann wendete sich das Blatt?
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es durch die Jugendmusikbewegungen ein Revival von alten Instrumenten wie Fidel und Flöte. In der neuen Musik haben viele Komponisten begonnen, wieder für die Flöte zu schreiben, so wie Stockhausen.

Wir haben jetzt hauptsächlich über die sogenannte „Ernste Musik“ gesprochen. Wäre die Flöte nicht auch ein guter Partner für entspannte Lounge-Musik?
Klar, ich habe sogar selber schon mal Erfahrungen gesammelt und zwar mit dem Duo Yello.

Die Schweizer Elektropop-Pioniere Dieter Meier und Boris Blank.
Boris Blank hat mich eingeladen in sein Studio, mir Berglandschaften geschildert und mir auf seinem Keyboard ein bisschen was vorgespielt. Dann sagte er: „Improvisier doch mal da drüber, und mach was ganz Sphärisches.“ Hinterher hat er das mit elektronischen Sounds verbunden und heraus kam das Stück Takla Makan.

Sie gelten als eine der weltbesten Blockflötistinnen. Gibt es eigentlich noch musikalische Herausforderungen, denen Sie sich gern einmal stellen würden?
Ein Student von mir spielt gerade ein Stück von Mathias Spahlinger. So etwas würde mich reizen. Da wird der Halbtonschritt, der ja schon ganz eng beieinander liegt, noch mal in ganz viele kleine Bestandteile zerlegt und in verschiedenen Griffen ausgeführt. Man braucht ungefähr ein Jahr, um das Stück überhaupt spielen zu können. Das ist dann mehr eine Art persönlicher Meditation.

Klingt interessant.
Und steht in einer alten Tradition. Die japanische Bambuslangflöte, die Shakuhachi, wurde von den Zen-Mönchen in Klöstern gespielt. Die haben darauf erst einmal nur lange Töne geblasen oder sich vorgestellt, wie ihr Atem an der Windkante entlanggleitet, um zur Ruhe zu finden. Das geht mir selber oft so. Wenn ich mich schlecht fühle, und ich nehme die Flöte in die Hand, ist das wie eine Therapie. KNA