BERLIN – Bei den Juden in Deutschland wächst die Angst vor einem zunehmenden Antisemitismus durch die Flüchtlingszuwanderung. „Wir Juden haben massive Bedenken, die aber nicht wahrgenommen werden“, sagte die Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, Lala Süsskind, in Berlin. Viele der Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak seien in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der die Vernichtung von Israel und den Juden Staatsdoktrin gewesen sei.
Sie in Deutschland zu integrieren, „wird wahnsinnig schwer", warnte Süsskind. In der deutschen Politik kämen die Sorgen der Juden aber nicht richtig an. „Wir fühlen uns da nicht ernst genommen“, kritisierte die frühere Berliner Gemeindevorsitzende.
Der Sprecher des Jüdischen Forums, Levi Salomon, sagte, die NS-Ideologie sei für die in Syrien und dem Irak über Jahrzehnte herrschenden Baath-Parteien ideologisches Vorbild gewesen. Deswegen müsse davon ausgegangen werden, „dass die meisten syrischen Flüchtlinge den Antisemitismus mit der Muttermilch eingesogen haben“, sagte Salomon. Er spricht deshalb auch von einem reimportierten Antisemitismus, dessen Wurzeln zumeist im christlichen Abendland lägen und der jetzt wieder nach Europa zurückschwappe.
In einer von dem Jüdischen Forum herausgegebenen und vom Zentralrat der Juden mitfinanzierten Handbuch zum islamischen Dschihad warnt der Autor, der Terrorismus-Experte Berndt Georg Thamm, vor einer „Israelisierung Europas“. Die aktuelle Situation in Israel mit ständigen Angriffen von Dschihadisten sei auch in Europa vorstellbar, sagte Thamm. Besonders gefährdet seien dabei Juden und jüdische Einrichtungen.
Die Speerspitze des „Holy World War“, wie es Thamm nennt, des von Islamisten ausgerufenen Heiligen Weltkriegs, sei antisemitisch, betonte der Terrorismus-Experte. Ob 2002 auf die El-Ghriba-Synagoge auf Djerba, Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Marokko ein Jahr später oder auf die Schule in Toulouse und im Jüdischen Museum in Brüssel 2012 und 2014 – immer seien Juden oder jüdische Einrichtungen bevorzugtes Ziel.
In der öffentlichen Wahrnehmung würden die jüdischen Opfer aber immer nur als Kollateralschaden wahrgenommen, kritisierte Thamm. Wie zuletzt auch bei den Anschlägen gegen die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im Januar in Paris, wo die jüdischen Opfer eines koscheren Supermarktes praktisch nur am Rande vorkamen. „Die Juden sind aber ausgesuchte Anschlagsziele des islamistischen Terrorismus, weil sie Juden sind“, sagte Thamm.
In seinem Vorwort zu dem Handbuch warnt Zentralrats-Vizepräsident Abraham Lehrer davor, den islamistischen Terrorismus zu unterschätzen. Auch gegen den wachsenden Antisemitismus in Europa müsse vorgegangen werden. „Denn die Terroristen bedrohen nicht nur uns Juden, sie bedrohen die gesamten westlichen Demokratien“, sagte Lehrer. epd
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„Reimportierter“ Antisemitismus
Die Angst vor Ausbreitung des islamistischen Terrors in Europa wächst