Der Osnabrücker evangelische Regionalbischofs Friedrich Selter hält Waffenlieferungen an die Ukraine trotz ethischer Bedenken derzeit für unvermeidbar. „Es bedeutet für mich als Theologe, der einst mit Überzeugung den Button ‘Frieden schaffen ohne Waffen“ getragen hat, eine große Anfechtung”, sagte Selter in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Aber er sehe trotz dieses Dilemmas keine Alternative, solange Russland keine Bereitschaft für ernsthafte Verhandlungen zeige und seine gezielten Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und Infrastruktur bis hin zu Krankenhäusern und Schulen fortsetze.
Dabei empfinde er es nicht als eine neue Dimension, wenn Deutschland jetzt Kampfpanzer liefere, nachdem es zuvor Flugabwehrsysteme, Gewehre und Schützenpanzer geliefert habe, sagte Selter. „Die Waffengattung macht keinen Unterschied. Entscheidend ist, welche Waffen die Ukraine benötigt, um sich gegen den Aggressor Russland zu verteidigen, der sämtliche Statuten des Friedens bricht und systematisch Kriegsverbrechen begeht. Da halte ich es für legitim, sich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.“ Eine rote Linie stellten allerdings solche Waffen dar, die unvermeidbar auch Zivilisten in Mitleidenschaft zögen.
In einem Zwiespalt
Über eine radikalpazifistische Lösung müsse immer der betroffene Staat entscheiden, betonte der Regionalbischof. Er könne gut verstehen, dass die Ukraine diesen Weg nicht gewählt habe. Auch für die Kirche insgesamt sei das ein Dilemma. Sie lege etwa ihr Geld nach ihren ethischen Richtlinien nicht in Anlageformen an, die die Rüstungsindustrie begünstigen. „Wir stehen dafür ein, dass Frieden mit Waffen nicht zu sichern ist, sondern stetig mit friedlichen zivilen Mitteln erarbeitet werden muss.“
Erst vor Kurzem hat sich die Theologin Margot Käßmann gegen Waffenlieferungen ausgesprochen. Dass Deutschland Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine schicken wolle, bedrücke sie sehr, sagte die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD.
Selter sagt, er glaube, dass viele Menschen in Deutschland in diesem Zwiespalt steckten, betonte Selter. Er spüre auch eine gewisse Nervosität und Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft. Die Menschen fürchteten, dass der Krieg sich ausweiten könnte. Er selbst versuche, diese Angst nicht an sich heranzulassen. „Aber ich halte Russland für schwer kalkulierbar“, räumte der Regionalbischof ein.
Friedenverhandlungen nötig
Zugleich ist es aus Sicht des leitenden Theologen zwingend notwendig, immer wieder auf Friedensverhandlungen zu drängen: „Die Staaten müssen miteinander reden und auf Russland einwirken, sich Gesprächen zu stellen.“ In diesem Sinne seien auch die Bemühungen der Verständigung und des kulturellen Austauschs mit Russland etwa durch das Instrument der Städtepartnerschaften nach wie vor ein richtiger Weg. Die geplante Friedenskette zwischen den Friedensstädten Osnabrück und Münster am Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar sehe er ebenso als Mahnung, „dass der Verhandlungsweg aufgesucht und konsequent beschritten wird“.