Manche Leute schweigen zu viel. Mein Vater war so jemand. Ich hätte gern mal von ihm gehört, wie es damals war. In seiner Jugend. Im Krieg. Auf der Flucht. Beim Neuanfang im Westen. Aber so sehr man ihn auch drängte – er sprach einfach nicht.
Nicht miteinander reden gehört zu den größten Belastungen in Beziehungen. In Ehe, Familie, Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz. Wer schweigt, fördert Missverständnis und Distanz – das Gegenteil von gelingenden Beziehungen. Es gibt aber auch das Gegenteil: Menschen reden zu viel. Die Tante, die beim Besuch alle zuquasselt. Die Freundin, die am Telefon kein Ende findet und die Anderen nicht zu Wort kommen lässt. Der Kollege, Nachbar, Vorgesetzte, der beim leisesten Versuch, eine kurze Unterhaltung zu beginnen, gleich ins Große und Ganze verfällt und mal eben die Welt erklärt.
Frage: Wo liegt die goldene Mitte? Antwort: Die gibt es nicht.
Alles hat seine Zeit, sagt die Bibel im Buch des Predigers. Geborenwerden und Sterben. Lachen und Weinen. Auch Reden und Schweigen.
Christinnen und Christen sind davon überzeugt, dass sie die wichtigste Botschaft der Welt haben. Sie sollen, sie müssen davon erzählen. Von Hoffnung und Gnade. Von Liebe und Rettung. Aber manchmal muss man eben auch den Mund halten können – und zuhören. Das fällt vielen schwer. Vor allem, wenn man meint, die Antworten immer schon parat zu haben – auch wenn die Fragen noch gar nicht gestellt wurden. Das Zuhören ist eine der segensreichsten Gaben, die der Schöpfer den Menschen anvertraut hat. Und sie wird gnadenlos unterschätzt.
Mal den Mund halten – das fällt vielen schwer
Kann man das richtige Schweigen lernen? Eine Möglichkeit sind Auszeiten. Die gibt es in Klöstern und kirchlichen Tagungshäusern. Auch Spaziergänge im Wald können zum Schweigen anleiten. Problem dabei: Oft ist danach das Bedürfnis, sich mitzuteilen, besonders groß. Man spricht vom „Redestau“ – ein Phänomen, das man auch von einsamen Menschen kennt.
Eine wunderbare Übung ist die Erzählrunde. Das geht auch zu zweit: Man trifft sich und erzählt einander Geschichten. Das müssen keine kunstvollen Berichte sein. Wie habe ich meinen Mann kennengelernt, meine Frau? Wer war mein erster Schwarm? Was ist mir aus meiner Schulzeit hängengeblieben? Was war die schönste Urlaubsreise? Die schlimmste? Oder: Wer oder was ist mir neulich im Supermarkt aufgefallen? Wichtig ist: Man muss erzählen! Nicht schimpfen. Nicht die Welt verbessern.
Ein paar Minuten erzählen – und dann zuhören
Erzählen – ein paar Minuten. Einfach so, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Und dann ist der Andere dran. Oder die Andere. Eine tolle Sache, um einzuüben: Es gibt eine Zeit des Redens. Und eine Zeit des Zuhörens. Beide haben ihr Recht.