Artikel teilen:

„Niemand verlässt freiwillig sein Land“

Das Flüchtlingsbüro von evangelischen Kirchengemeinden in Bad Salzuflen lädt Flüchtlinge zu einer Weihnachtsfeier ein. Obwohl viele von ihnen aus muslimischen Ländern kommen, ist das Interesse an der Feier und am christlichen Glauben groß

Die Tische sind mit Tannenzweigen und Kerzen geschmückt. Von den Familien ist bei Keksen und Tee Arabisch, afghanisches Dari oder Kurdisch zu hören. Einige der jungen Frauen tragen Kopftücher. In einem angrenzenden Raum schneiden Kinder Tannenbäume und andere Weihnachtsmotive aus bunter Pappe aus. Ein „Weihnachtsmann“ mit langem Bart hat sich den Weg durch die Gäste gebahnt. In seinem großen Sack hat er für jedes der Kinder ein kleines Geschenk mitgebracht.
„Soo viele Kinder…“, staunt der Weihnachtsmann „Wer von euch kommt aus Syrien?“ Die meisten Kinderarme gehen hoch. Andere melden sich, als Irak, Afghanistan oder Eritrea an die Reihe kommen.

Abwechslung zum Alltag in der Unterkunft

Der Raum im evangelischen Gemeindehaus in lippischen Bad Salz­uflen reicht kaum aus: Die Weihnachtsfeier für Flüchtlingsfamilien ist gut besucht. Rund 100 Männer und Frauen, viele mit kleinen Kindern, sind gekommen, um zusammen zu sein, Tee zu trinken, zu reden. Viele möchten vor allem ihren Kindern Abwechslung zu ihrem Alltag in der Flüchtlingsunterkunft bieten. Eingeladen hat das Migranten- und Flüchtlingsbüro evangelischer Kirchengemeinden Bad Salzuflen.
„Wer zur Weihnachtszeit zu uns nach Deutschland kommt, kann den Eindruck bekommen, wir sind alle verrückt“, sagt die evangelische Pfarrerin Birgit Krome-Mühlenmeier. „Vielleicht vor Freude, weil Gott in die Welt kommt.“ In ihrer Andacht versucht die Pfarrerin in einfachen Worten den überwiegend muslimischen Flüchtlingen Weihnachten zu erklären. Kanawati Kamo, ein aus Syrien stammender Mitarbeiter des Flüchtlingsbüros, übersetzt in Arabisch und afghanisches Dari. Die Geschichte wird von Jesu Geburt wird vorgelesen, ebenfalls in mehreren Sprachen.
Dass Weihnachten ein christliches Fest ist – damit haben die Gäste hier kein Problem. „Es gibt viele Religionen, aber nur einen Gott“, sagt Ali Murad Hussain, der mit seiner Frau und zwei Kindern aus dem Irak geflohen ist. Für ihn und seine Familie ist die Feier eine Möglichkeit für Gemeinschaft und Austausch. Seine Frau und die Kinder leiden noch unter den Folgen der Flucht. Hussain zeigt eine Bescheinigung, dass seine Frau Mariam Akram in psychologischer Behandlung ist. In ihrer Heimat habe seine Frau studiert. Sie sei aber zunehmend von Islamisten bedroht worden, erzählt er. Ali Murad Hussain möchte möglichst schnell Deutsch lernen und dann anderen Flüchtlingen als Dolmetscher helfen. Er spricht bereits afghanisch, arabisch, iranisch und kurdisch.
Von ihrer gefährlichen Flucht über die Türkei und Griechenland, berichtet eine Familie aus Kamischi im Nordosten Syriens. Sie sei dankbar, dass sie mit ihren vier Kindern die Überfahrt auf dem Seeweg in einem kleinen Boot überstanden habe, erzählt Mutter Safia Omar. „Unser Leben war nicht mehr sicher“, berichtet die Grundschullehrerin, die sich in ihrer Heimat für Demokratie und die Rechte der Kurden eingesetzt hat. „Niemand verlässt seine Heimat freiwillig“, betont die Syrerin, die mit ihrer Familie nahe der türkischen Grenze gelebt hat.
Safia Omar hat einen Aufenthaltsstatus von zunächst drei Jahren. Ihr Mann kam vor wenigen Monaten nach Deutschland. Die Familie lebt in einer Flüchtlingsunterkunft. Wichtig sei für sie vor allem eine Perspektive für die Kinder – das jüngste ist acht, das älteste 20 Jahre alt. „Sie sollen einmal studieren oder eine Ausbildung machen können.“ Der Krieg in ihrer Heimat müsse endlich gestoppt werden, ergänzt Vater Lukman Khalaf. Dafür müssten sich alle Regierungen einsetzen.
Viele der Teilnehmer der Weihnachtsfeier kennen sich untereinander. Alle haben in der zweimal pro Woche angebotenen Beratung des Migranten- und Flüchtlingsbüros Rat und Hilfe erhalten. Das Beratungsangebot wird seit rund 20 Jahren von den evangelischen Kirchengemeinden angeboten.
Der Bedarf an Beratungen sei inzwischen stark angestiegen, erklärt Pfarrerin Krome-Mühlenmeier. Außerdem würden angesichts der komplizierten Rechtslage und ständig sich ändernden Bestimmungen Fachleute benötigt. Für die Kirchengemeinden sei es schwierig geworden, das auf Dauer allein zu schultern, sagt Krome-Mühlenmeier. Sie ist Vorsitzende des Beirats des Flüchtlingsbüros. Inzwischen ist die diakonische Stiftung „Herberge zur Heimat“ als Trägerin mit ins Boot gekommen. Mit Hilfe von öffentlichem Geld und der Unterstützung der Lippischen Landeskirche konnte die Beratung um Kanawati Kamo mit den Beraterinnen Laura Ramm und Nadia Einloft aufgestockt werden.
Ergänzt werden die Sprechstunden seit einem Jahr durch ein „World-Café“: Dort kommen die Flüchtlinge, die auf ihre Beratung warten, bei Kaffee und Gebäck mit Ehrenamtlichen ins Gespräch, kickern und lernen Deutsch.
Für Kanawati Kamo, der vor über 25 Jahren als Flüchtling aus Syrien kam, bedeutet sein jahrelanges Engagement in der Beratung auch Erfüllung. Er selbst habe Hilfe bekommen, um hier heimisch zu werden. Das will er weitergeben. Er hilft anderen Flüchtlingen dabei, Anträge zu stellen, die Familienzusammenführung auf den Weg zu bringen oder dabei, einen Job zu finden. „Ich will helfen“, sagt Kamo, der neben einem perfekten Deutsch weitere Sprachen wie Arabisch und Kurdisch spricht.  

Spezielle Pfarrstelle für Flüchtlingsarbeit

Mit der anwachsenden Zahl an Flüchtlingen hat die viertkleinste evangelische Landeskirche ihre Hilfen für die Arbeit für Flüchtlinge unter anderem mit der Einrichtung eines Sonderfonds verstärkt. Im November beschloss die Landessynode der Lippischen Landeskirche zudem, für zunächst fünf Jahre eine spezielle Pfarrstelle für die Flüchtlingsarbeit einzurichten. Die gewachsenen Aufgaben ließen sich nicht mehr nebenbei bewältigen, hieß es.
Viele Flüchtlinge äußerten in den Gesprächen auch Interesse an dem christlichen Glauben, erzählt Nadia Einloft, die im Flüchtlingsbüro für die Beratung über Rückkehrmöglichkeiten in die Heimatländer zuständig ist. Einige hätten sich sogar inzwischen auch taufen lassen.
Die Kirchengemeinden profitieren von den Kontakten mit den Flüchtlingen, ist Pfarrerin Krome-Mühlenmeier überzeugt. „Diskussionen über das Thema Flüchtlinge verlaufen ganz anders, wenn es persönliche Begegnungen gibt.“ In vielen Gemeinden würden sich Flüchtlinge einbringen. „Eine Frau, die als Flüchtling gekommen ist, arbeitet inzwischen im Seniorenkreis unserer Gemeinden mit.“