Immer noch und immer wieder werden Menschen für ein vermeintliches Gemeinwohl stigmatisiert und ausgegrenzt: am stärksten manifestiert sich dies im Glauben an die Hexerei. Besonders Frauen werden zu Sündenböcken gemacht. Solche Vorstellungen existieren in vielen Weltreligionen. Sie beschränken sich keineswegs auf ländliche oder bildungsbenachteiligte Kreise. Im Münchner Museum Fünf Kontinente widmet sich nun bis 5. Mai 2024 eine Sonderausstellung diesem Thema.
Die Künstlerinnen Ann-Christine Woehrl und Senam Okudzeto machten sich 2005 auf zu einer gemeinsamen Reise durch das westafrikanische Ghana bis nach Burkina Faso. Dabei setzten sie sich mit zeitgenössischer Hexenverfolgung auseinander.
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Im Mittelpunkt der Schau stehen Frauen aus der nördlichen Region Ghanas, die der Hexerei bezichtigt wurden. Neid, Missgunst und der Vorwurf, für Krankheiten, Todesfälle, Dürren und andere Katastrophen verantwortlich zu sein, haben diese Frauen zu geächteten Außenseiterinnen gemacht.
Frauen als Sündenböcke für alles
Oft in Todesgefahr, wurden sie in sogenannte Hexenlager (englisch: witch camps) ins Exil gezwungen. Diese Dörfer, von denen es in Ghana heute acht gibt, befinden sich in sehr abgelegenen Gebieten, weit entfernt von der Hauptstadt Accra. Deshalb wussten damals nur wenige Menschen von deren Existenz. Das haben nun unter anderem die großformatigen, fast lebensgroßen Farbfotos der deutsch-französischen Fotografin Woehrl geändert. Sie zeigt diese Frauen in einer eindringlichen Porträtserie in ihrer ganzen Würde und Verletzlichkeit, aber auch mit all ihrem Stolz. Die Fotos wirken sehr ästhetisch und wie Gemälde alter Meister.
Doch um überhaupt auf den Auslöser ihrer Kamera drücken zu können, musste die Fotografin das Vertrauen dieser traumatisierten Frauen gewinnen. Sie erzählten Woehrl ihre Geschichte; einige Videobeispiele sind in die Ausstellung integriert. Für die Fotos hat die Fotografin einen schwarzen Stoff auf dem Markt gekauft, den sie vor eine der Hütten im jeweiligen Dorf hängte. Vor diesem neutralen Hintergrund ließ sie dann die Frauen Regie führen: Diese durften selbst ihren Ausdruck, die Geste, den Blick bestimmen.
Viele Frauen nehmen ihr Schicksal hin
Sie sind zu schwach, um gegen den fest verankerten Glauben, gegen die Wut der Gemeinschaft zu kämpfen. Ihre Vertreibung, die Prügel, die Trennung von ihren Familien lassen die Frauen resignieren. Ihre Lager nennen sie liebevoll ihre “Farm”. Sie fühlen sich dort vor Übergriffen sicher, aber ihr Alltag ist hart. In der Regenzeit bewirtschaften sie ein kleines Feld, doch der sandige Boden des Buschlands bringt keine üppige Ernte hervor.
Hexenbeschuldigungen entstehen meist, wenn Spannungen in der Nachbarschaft oder Verwandtschaft auftreten. Plötzlicher Misserfolg, unerwartetes Unglück, Todesfälle sowie der Ausbruch unvermittelter Krankheiten lassen die Menschen nach Erklärungen suchen. Ein Schuldiger oder besser eine Schuldige, die das Elend verursacht haben soll, muss her. Fast immer trifft es Frauen – mit fatalen Folgen wie Ausgrenzung, Folter bis hin zu Lynchjustiz. Eine entscheidende Rolle spielen Frauen und Männer, die sich als Hexenfinder betätigen. Mit Orakeln und Wahrsagerei bestätigen sie das Urteil oder verwerfen es.
Pfingstkirchen akzeptieren Hexerei in Ghana
Solche und andere Informationen erfährt der Besucher mittels erläuternder Wandtexte. So auch, dass in Ghana aktuell 31 Millionen Menschen aus etwa 120 unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen leben, die 79 verschiedene Sprachen sprechen. An die 70 Prozent von ihnen gehören christlichen Kirchen an. Eine unrühmliche Rolle spielen Pfingstkirchen, die Hexerei als Realität akzeptieren und diese als Werk des Teufels definieren.