Musik gehört zur Kirche wie das sprichwörtliche Amen. Aber können sich Bach-Choräle, Händel-Oratorien oder Mozart-Messen auf die Dauer gegen die immer beliebtere Pop-Musik in der Kirche behaupten? Welche Wege gibt es, Menschen auch neu mit klassischer Kirchenmusik in Berührung zu bringen?
Eine Möglichkeit hat Hauke Ehlers, Kirchenmusiker in der Gemeinde Jöllenbeck in Bielefeld, entdeckt: den Singalong. Das heißt übersetzt schlicht „Mitsingen“. Im Bereich der klassischen Musik ist damit ein Treffen von Sängerinnen und Sängern gemeint, die zusammenkommen und ein bekanntes Chorwerk gemeinsam aufführen – ohne vorherige Proben, ohne Konzertkleidung, ohne Stress. „Es ist ein Happening“, sagt Ehlers. Kein Konzert mit Perfektionsanspruch, sondern „etwas, was lebt“.
Vor dem ersten Konzert dieser Art haben ihn seine Musiker-Kollegen gefragt: Wie kannst du sowas machen – das kann man doch gar nicht vernünftig vorbereiten? Aber Perfektion ist für Ehlers nicht alles. Er setzt auf die Versiertheit der Sänger: „Die wollen das so gut wie möglich machen und sind gespannt darauf, das Stück mal anders zu gestalten.“
Ein bekanntes Stück einmal anders gestalten
So geht es an einem Samstagnachmittag im Januar auch ganz entspannt zu in der Jöllenbecker Marienkirche. Nach und nach treffen die Sängerinnen und Sänger mit Noten unter dem Arm ein. Am Eingang gibt es die Einweisung: Alt und Männerstimmen links, Sopran rechts im Kirchenschiff. Man sitzt mit Blick zum Altar; die Zuhörer werden sich später auf den Emporen verteilen. Spontansänger mischen sich mit denen der Kantorei, die die Werke des heutigen Konzerts – eine Messe und die „Vesperae sollennes“ von Mozart – in einer Projektphase bereits vorbereitet haben. „Das ist meine an den ostwestfälischen Charakter angepasste Version des Singalong“, erklärt Ehlers. Die geübten Chormitglieder geben den anderen Sicherheit und sorgen dafür, dass die anspruchsvolle Musik Mozarts nicht im Chaos endet.
Drei Mal hat der Kantor bereits bekannte Werke auf diese Weise aufgeführt: Bachs Weihnachtsoratorium mit den ersten drei Kantaten, Händels „Messias“ und noch einmal Weihnachtsoratorium mit den Kantaten vier bis sechs. Jedesmal war das Kirchenschiff voll mit Sängern. „Die Zuhörer haben mir erzählt, was für eine tolle Wirkung das ist, wenn die ganze Kirche singt“, erzählt Ehlers.
Ganz so ist es heute nicht. Gut zur Hälfte sind die Bänke besetzt – die Mozart-Werke sind eben nicht solche „Schlager“ wie die Barock-Oratorien. Frauke Ruwisch aus dem 15 Kilometer entfernten Steinhagen ist das erste Mal dabei. Konzentriert schaut sie in die Noten, als Ehlers im grauen Wollpullover vom Altar her den ersten Einsatz für die Altistinnen gibt. Sie kennt die Messe bereits. Ihr erster Eindruck: „Super“ – aber das Mithalten ist doch schwerer, als sie gedacht hatte, gibt sie zu.
Gute Alternative zu häufigen Proben
Hans Peter Wiebe steht im Bass. 20 Jahre ist es her, dass er das Stück gesungen hat – da war ein Notenstudium zum Auffrischen nötig, wie er erzählt. Das hat er zuhause erledigt, denn für regelmäßige Proben hat er keine Zeit. Umso besser gefällt ihm die Möglichkeit, hier in der Jöllenbecker Kirche einfach mit einzusteigen in den großen Chorklang.
Hauke Ehlers bemüht sich beim Durchgang durch das Stück inzwischen nicht nur um richtige Töne – die kommen im Großen und Ganzen –, sondern auch um den musikalischen Ausdruck. „Die langen Noten bitte mehr gestalten“, fordert er und singt vor, wie er sich das An- und Abschwellen der Töne vorstellt. Beim Übergang zum nächsten Stück ist das Tempo nicht klar. Es wackelt zwischen Chor und Orchester. Ehlers winkt ab. Noch einmal – diesmal klappt es.
Genau einmal Durchsingen ist vorgesehen, das muss reichen. In der Stunde Pause, die noch bis zum Konzert bleibt, gibt es im Gemeindehaus ein Abendessen für die Sänger und Orchestermusiker. Aufregung vor dem Konzert? „Nein, wieso? Ich will ja niemanden beeindrucken“, sagt Christa Gerwig, die auch das Weihnachtsoratorium von Bach und den Messias von Händel als Singalong in Jöllenbeck mitgesungen hat. „Ich singe für mich – und zum Lob Gottes.“
Übrigens: Am 17. Dezember kann man in der Jöllenbecker Marienkirche erneut die ersten drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums mitsingen. Sicher ist die Kirche dann wieder ganz voll.
• Informationen und Anmeldung per E-Mail: hauke-ehlers@web.de.