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Mit dem Kran zu Jesus

„Gott weicht nie von der Seite“ – das möchte die Kindergartenleiterin Helga Heuer ihren Schützlingen vermitteln. Dafür betet sie täglich. Dank ihr lernen schon die Kleinen ein Grundvertrauen – in Gott, in die Menschen und in das Leben

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„Lasst uns miteinander singen, beten, loben den Herrn …“ – aus voller Kehle singen die 20 Kindergartenkinder. Dabei gehen sie immer zwei und zwei in die Kirche, direkt zum Altarraum. Erzieherin Helga Heuer begleitet das Lied auf der Gitarre, Kollegin Karola Korengel führt die Kinder nach vorn. In der eingruppigen Kindertagesstätte im niedersächsischen Schönhagen bei Uslar steht religiöse Erziehung auf dem Plan.

„Das Kreuz steht da wegen dem Jesus“

Die Kinder setzen sich auf mitgebrachten Decken im Kreis vor den Altar. In der Mitte liegt ein Tuch, darauf eine Kinderbibel, eine Kerze und ein Kreuz. Helga Heuer fragt, an wen die Kerze und das Kreuz erinnern. „Das Kreuz steht da wegen dem Jesus“, weiß ein Junge. „Die Kerze auch. Weil uns der Jesus lieb hat“, ergänzt ein Mädchen. „Genau“, sagt Helga Heuer, „Jesus macht unser Leben hell und sein Herz ist ganz warm für uns, weil er uns so dolle lieb hat“. Marie darf die Kerze anzünden.
Die Vermittlung des christlichen Glaubens ist der Kindergartenleiterin ein großes Anliegen. „Ich möchte den Kindern ein Grundvertrauen in Gott vermitteln. In Gott, in Menschen und in das Leben.“
Die 51-Jährige bezeichnet sich selbst als gläubig. Aufgewachsen ist sie in Franken und hat sich in ihrer Jugend beim CVJM engagiert. Nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin arbeitete sie in einem Internat und in einem Hort. Nach einigen Jahren Berufserfahrung entschied sie sich für eine Weiterbildung zur Heilpäda­gogin und ging dazu nach Hannover. Dort arbeitete sie anschließend sechs Jahre lang mit Drogenabhängigen. „Das ging manchmal schon an die Substanz“, sagt sie. „Aber es hat meinen Horizont erweitert und mein Glaube hat sich vertieft.“ Sie fühlte sich oft von Gott getragen. „Genau das möchte ich den Kindern vermitteln – dass da jemand ist, der nie von ihrer Seite weicht.“
Das nächste Lied: „Gott hat alle Kinder lieb“. Die Kinder singen mit Begeisterung. Helga Heuer betet mit den Kindern. Sie spricht frei, macht es kurz und findet klare Worte. Dann die Geschichte. Die Erzieherin nimmt einen Umhang, setzt sich einen Hut auf und erklärt: „Ich bin Karl. Ich muss euch von meinem Freund Markus erzählen. Der konnte nicht laufen. Der war schon als Kind gelähmt. War aber ein super Freund.“ Sie erzählt die Geschichte vom Gelähmten (Markus 2, 1-12), den seine Freunde zu Jesus bringen in der Hoffnung, dass Jesus ihn gesund macht aus der Sicht eines Menschen, der damals dabei war. Das ist für Helga Heuer und Karola Korengel nichts Ungewöhnliches. „Manchmal spielen wir eine Geschichte auch zu zweit“, sagt Helga Heuer. „Die Kinder hören da noch mal ganz anders zu.“
Es ist mucksmäuschenstill. Einige Kinder folgen der Geschichte mit offenem Mund. „Karl“ erzählt gerade die Stelle, wo die Freunde merken, dass sie mit ihrem gelähmten Freund nicht zu Jesus vordringen können. Zu voll. Zu viele Menschen. „Was meint ihr denn, was hätten wir tun können?“, fragt Karl. „Die Leute bitten, dass sie euch durchlassen“, schlägt Anna vor. Auch Leon hat eine Idee: „Mit einem Kran irgendwie hoch und zu Jesus.“ Einige Kinder weisen ihn darauf hin, dass es doch damals noch keinen Kran gegeben hat. „Karl“ sagt: „Stimmt, einen Kran gab es nicht. Aber wir haben so etwas ähnliches gemacht: Wir haben das Dach abgedeckt.“
Nach der Geschichte dürfen die Kinder selbst ausprobieren, wie es ist, wenn man einen anderen trägt oder wenn man selbst getragen wird. Aber längst nicht jeder kann drankommen. „Morgen machen wir das im Kindergarten nochmal. Jeder, der will, kommt dran“, sagt Helga. „Versprochen.“ Damit geben sich die Kinder zufrieden. Sie wissen: Wenn Helga oder Karola etwas versprechen, dann halten sie das. „Das finde ich wichtig. Erwachsene sollten von Kindern als verlässlich erlebt werden“, sagt Helga Heuer. Ihre Überzeugung ist es, dass man Kindern nur dann eine Geborgenheit in Gott vermitteln kann, wenn man selbst diese Haltung hat und den Kindern mit Liebe begegnet. „Dazu gehört, dass ich meine Versprechen halte.“
Alle sitzen wieder im Kreis. Die Kinder berichten, wie es für sie war, in der Decke getragen zu werden. „Schön“, sagt Elisa. Emil meint: „Getragen zu werden ist gut.“ Und Anna berichtet: „Ich hab gedacht, ich bin in einer Seilbahn. Das war schön.“
Auch ein gemeinsames Dankgebet gehört zum Besuch in der Kirche. Helga gibt einem Kind die Kerze. Das Kind sagt Gott, wofür es ihm danken möchte. Dann geht die Kerze zum nächsten. Zum Abschluss beten sie das Vaterunser. „Das können die Kinder zwar noch nicht. Aber ich finde es gut, wenn sie es immer wieder hören. So wird es ihnen vertraut.“
Das Gebet spielt für Helga Heuer eine zentrale Rolle. Jeden Morgen kommt sie auch deswegen etwa eine halbe Stunde vor Dienstbeginn in den Kindergarten. Sie genießt die Ruhe und nimmt sich Zeit zum Beten. „Ich bitte Gott für die Kinder, dass sie gut aufstehen, dass sie sich im Kindergarten wohl fühlen und Freunde finden.“
Zum Abschluss wird in der Kirche nochmal gesungen: „Wenn einer sagt: ich mag dich, du“. Auch dieses Lied schmettern die Kinder fröhlich. Gemeinsam ziehen sie aus der Kirche aus. In dem Moment läuten die Glocken. „Ich glaub‘, die läuten wegen uns“, ist Emily überzeugt. „Das war wieder schön in der Kirche.“ Nur schade, dass ihr Lieblingslied nicht gesungen wurde. „Das ist das, wo wir singen, dass Gott immer bei uns ist, auch wenn Mama und Papa mal nicht da sind“, erklärt sie.
„Kinder sind für den Glauben empfänglich, es ist tröstend für sie zu wissen, dass Gott bei ihnen ist“, sagt Helga Heuer. Zur religiösen Erziehung gehören auch Rituale wie zum Beispiel vor Ostern die gemeinsame Feier des Abendmahls im Kindergarten. „Da sitzen wir alle im Gruppenraum auf dem Boden und die Kinder brechen sich gegenseitig ein Stück Brot ab.“ In der Passionszeit wird ein Osterweg aufgebaut, in der Adventszeit der Krippenweg.  „Die Kinder lieben es, den Weg zu gestalten und die Szenen mit Playmobilmännchen zu spielen“, so Helga Heuer.

Kindergartenereignisse gehören zum Dorfleben

Auch die Eltern werden einbezogen. Vor allem das Laternenfest und das Krippenspiel sind inzwischen regelrechte Großereignisse. „Da kommt fast das ganze Dorf zusammen“, freut sich Helga Heuer. Gegenwind hat sie in den zehn Jahren im Kindergarten bislang nicht bekommen. Nur einmal hatte ihr eine Mutter gesagt, dass sie anfangs skeptisch war, als sie hörte, dass im Kindergarten großer Wert auf religiöse Erziehung gelegt werde. Doch als das Kind oft fröhlich singend nach Hause kam, war das für die Mutter schnell erledigt.
Eine andere Mutter hat ihr erzählt, dass sie in ihrer dritten – ungewollten – Schwangerschaft eine schwere Phase durchgemacht hatte. Eines Nachmittags suchte sie ihr Kind (5) und hörte es reden. Sie schlich zur Tür und hörte, wie es betete: „Bitte lieber Gott mach, dass es meiner Mama wieder besser geht.“ Das sei für sie der Moment gewesen, in dem sie umschwenken konnte. „Ab da ist sie wieder auf die Beine gekommen.“ Solche Erlebnisse erfüllen Helga Heuer mit tiefer Dankbarkeit.