Herr Goetze, kürzlich haben Sie sich für eine differenzierte Berichterstattung über eine Neuköllner Mosche eingesetzt, warum?
Zu einer weltoffenen Stadt gehört auch eine faire Berichterstattung über Muslime, die sich für unsere Zivilgesellschaft engagieren. Der „Kontraste“-Filmbeitrag „Geld. Macht. Qatar“ hat dagegen trotz besseren Wissens tendenziös und mit wagen Vermutungen gearbeitet und Sachverhalte aus dem Zusammenhang gerissen.
Was ist konkret im Filmbeitrag passiert?
Imam Taha Sabri von der Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) wird gefragt, ob er aus dem Ausland Geld für seine konkrete Arbeit bekommt, was er verneint. Danach wird gezeigt, wie Sabri auf Arabisch dafür dankt, dass Menschen auch aus Qatar Geld für den Bau der Moschee gegeben haben. Das hat zur Folge, dass er als Lügner dasteht. Die Faktenlage ist aber eine andere. Denn die Moschee wurde gar nicht von ihm gebaut, sondern von anderen. Die NBS wurde nur später der Mieter. Inzwischen hat Imam Sabri auch juristisch Recht bekommen und dem rbb ist untersagt, solche bewusst wahrheitswidrigen Aussagen zu wiederholen.
Ist das nur ein Beispiel von vielen?
Ja, davon ist die Medienlandschaft voll. Negative Schlagzeilen zum Islam sind weiter ein Verkaufsschlager. Diese Bildwelten über den Islam sind bei uns wirksam seit dem 9./10. Jahrhundert: Der Islam als christliche Häresie, grundsätzlich gewalttätig und so weiter. Der Islam diente und dient bis heute als negative Folie für Europas eigene positive Identität.
Warum hält sich das so hartnäckig?
Weil Identitätsfragen nicht mit Argumenten zu bezwingen sind, sondern nur durch Erfahrungen, die man mit anderen macht. An Begegnungen aber mangelt es noch immer.
Wie hilfreich ist der 3. Oktober als „Tag der Offenen Moschee“?
Deutschlandweit ein wichtiger Tag für Begegnungen, an dem Tausende Moscheegemeinden besuchen. Seit den Anschlägen von 2001 haben sich die Moscheen mehr geöffnet und es gibt auch ein Bedürfnis, mehr zu erfahren.
Was haben Sie gegen diese negativen Bildwelten in Ihrer Arbeit getan?
Begegnung und nochmals Begegnung! Dialogräume eröffnet, weil darüber Neugier und Vertrauen wachsen. Ich bin geprägt vom jüdisch-christlichen Dialog. Er ist ja auch nicht nur ein nettes Gespräch, sondern ein Lernweg vor allem für uns Christ*innen. Dialog heißt: wechselseitiges Befragen, was ich glaube, wie ich handle und mit welchen Haltungen ich in der Gesellschaft unterwegs bin.
Wie bewerten Sie die Proteste im Iran und die Haltung gegenüber Frauen, die sich dort zeigt? Schürt so etwas nicht auch Vorurteile gegenüber dem Islam?
Ja, so ist es. Aber, was nicht gelingt ist die Unterscheidung zwischen den Mullahs, die den Islam instrumentalisieren für ihre Herrschaftsideologie und den Menschen, die im Herzen spirituell glauben. Diese verstehen das, was jetzt im Iran passiert, als Verrat an ihrer Religion. Aber denken wir auch an Trumps „Amerika first“ oder an den Hindu-Nationalismus in Indien. Immer wenn Religion mit Nation, mit Ethnie verbunden wird, wird es tendenziell ausgrenzend und andere werden zu Bürgern zweiter Klasse. Auch im Iran ist das Verhalten der Mullahs Zeichen für ihre Schwäche.
Sehen das die Muslime hierzulande auch so?
Ja, natürlich. Auch in den schiitischen Gemeinden. Ich wünschte mir allerdings hier und da auch deutlichere Stellungnahmen dazu. Zu Recht sagen sie, wir sind deutsche Staatsbürger, müssen uns also nicht zum Iran äußern. Allerdings braucht eine globalisierte Welt auch mehr Antworten, finde ich.
Wo sehen Sie nach 10-jähriger Tätigkeit die größten Baustellen?
Es gibt viele muslimische Stellungnahmen gegen Terror oder gegen Antisemitismus. Aber wo lese ich das in der Zeitung? So viele Muslim*innen und Moscheegemeinden engagieren sich für ein gutes Zusammenleben, davon erfährt man höchstens in einer Randnotiz. Ich erlebe vielfach Journalist*innen wie auch Lehrkräfte als wenig religiös gebildet. Es braucht mehr interreligiöse Kompetenz, damit man besser unterscheiden kann: Was ist Religion, was ist kulturelle Prägung, was ist Tradition. Wenn ich mich besser auskenne, kann ich auch differenzierter berichten und einordnen und komme raus aus den Schwarz-Weiß-Mustern.
Wo liegt denn die größte Ressource von Religionen?
In ihrer spirituellen Kraft und in ihrem Friedenspotential. Dass Gott Schöpfer und Herrscher ist und kein Mensch sich das anmaßen darf, das ist unheimlich diktatur- und herrschaftskritisch und unterstützt die Würde jedes Menschen. Wer in sich ruht und gelassen mit seinem Gott lebt, der kann anderen in Freiheit, mit Offenheit und Respekt begegnen.
Wie blicken Sie auf 10 Jahre Interreligiösen Dialog in Berlin?
Mit großer Dankbarkeit. Weil ich mit so vielen Menschen in Dialog gekommen bin, wie ich es mir hätte nie vorstellen können. Dass wir trotz der gegenwärtigen Krisen noch so einen Zusammenhalt haben, das liegt auch an den vielen Menschen, die sich aus den Religionsgemeinschaften im Dialog engagieren. Ich habe auch viel über mich selbst gelernt, weil ich viel gefragt worden bin über meinen Glauben und mein Denken. Ich bin bescheidener geworden mit meinen Urteilen.
Woran erinnern Sie sich besonders gern?
An die Reihe „Unterwegs an Orten des Gebetes“ – da waren wir hintereinander zu Gast in einer Synagoge, einer Kirche und in einer Moschee. Sehr berührend war zu sehen, wenn jüdische Menschen erstmals in einer Moschee sind oder nicht religiös Gebundene erstmals heilige Räume wahrnehmen. In der christlich-orthodoxen Gemeinde haben jüdische und muslimische Menschen, die eigentlich ein Bilderverbot haben, plötzlich verstanden, dass Ikonen eine Möglichkeit sind, Gott nahe zu sein, ähnlich wie sie es erleben durch die Rezitation ihrer Heiligen Schrift. In den Gesprächen wurde wertgeschätzt, was der andere macht und verstanden, was ihn bewegt.
Aber ist der Interreligiöse Dialog noch immer ein Nischenthema für speziell Interessierte?
Er hat immer Luft nach oben. Doch es gibt mehr Menschen, die nachfragen. Wir sind als Kirche mehr und mehr als Kompetenzpartner auch politisch gefragt, etwa für Integrationsbeauftragte.
Ist diese Vernetzung auch wichtig angesichts der Relevanzkrise der Religionen?
Vielleicht gibt es eine Krise in der institutionellen Religion, aber es bleibt eine Sehnsucht der Menschen in der Frage, was sie trägt. Wenn es Religionen gelingt, ihre spirituellen Schätze miteinander zu teilen mit Themen wie Respekt, Demut und Achtsamkeit, geben sie Orientierung. Menschen sind offen, sich auf Wege einzulassen. Da müssen wir offensiver werden.
Was war für Sie besonders anstrengend?
Wenn interreligiöse Themen politisch überlagert werden, wird es immer schwierig, ob Terror, armenischer Völkermord oder Israel-Palästina, aber wenn Vertrauen gewachsen ist, ist auch hier der Dialog nicht gleich zu Ende.
Wie wird die interreligiöse Arbeit hier weitergehen?
Ich bin froh, dass die Stelle wieder für sechs Jahre besetzt werden soll im Berliner Missionswerk als „Außenministerium“ der Landeskirche.
Worauf freuen Sie sich in Frankfurt?
Es wird ein ganz ähnliches Aufgabenfeld im Zentrum Ökumene. Ich möchte die Netzwerkarbeit fortsetzen. Ich freue mich auch auf Kunst und Kultur in Frankfurt und kehre zu meiner Familie in Hessen zurück. Aber in Berlin werde ich viele gute Freunde und Kolleg*innen vermissen.
Der Verabschiedungsgottesdienst von Pfarrer Andreas Goetze ist am 30. Oktober um 14 Uhr in der Sophienkirche in Berlin-Mitte.
Veranstaltungstipp
„friedensWEGE – suche den Frieden und gehe ihm nach“ (Jeremia 8,10f., Psalm 85)Gottesdienst am Sonntag, 13. November, 11 UhrJohannesgemeinde-Lichterfelde-West, Berlin-Lichterfelde
Nichts wünschen wir uns mehr als Frieden. Nichts ist so bedroht. Ein Gottesdienst, in dem wir um Frieden bitten für so viele Bedrängte und Verfolgten in aller Welt. Religionen stellen unschätzbare Ressourcen für den Frieden zur Verfügung.
Predigt: Pfarrer Andreas Goetze, Musik: Mitglieder BlueChurch Jazz-Ensemble