Mehr als 100.000 Menschen haben am Wochenende in vielen Städten Niedersachsens sowie in Bremen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie demonstriert. Allein in Bremen hatten sich am Sonntag nach Polizeiangaben bis zu 45.000 Menschen versammelt. Mit Transparenten, auf den Slogans wie „Menschenrechte statt rechte Menschen“ oder „Rechtsaußen find’ ich nur bei Werder gut“ zu lesen waren, zogen sie auf den zentralen Domshof. Der Platz wurde bereits kurz nach Beginn der Veranstaltung wegen Überfüllung von der Polizei gesperrt. Daraufhin versammelten sich die Teilnehmer auch auf umliegenden Straßen und Plätzen. Es kam aufgrund der Menschenmasse zu zahlreichen Verkehrsbehinderungen, die Kundgebung verlief den Angaben zufolge aber ohne gravierende Zwischenfälle.
Immer wieder skandierten die Menge auf und um den Domshof den Slogan „Alle zusammen gegen den Faschismus!“, der wie eine akustische La-Ola-Welle durch die Bremer Innenstadt lief. Ursprünglich war die Kundgebung für 500 Personen angemeldet worden, die Polizei hatte sich aber frühzeitig auf deutlich höhere Teilnehmerzahlen eingestellt.
In Hannover strömten am Sonnabend nach Polizeiangaben rund 35.000 Menschen auf den zentralen Opernplatz. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) lobte das große zivilgesellschaftliche Engagement. „Das, was ihr hier zeigt, ist gelebter Verfassungsschutz“, rief er der Menschenmasse in der niedersächsischen Landeshauptstadt zu. Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Parteien hatte zu der Kundgebung aufgerufen.
In Braunschweig kamen nach Polizeischätzungen am Sonnabend rund 15.000 auf den Schlossplatz, der veranstaltende Stadtschülerrat sprach von 20.000 Personen. Dort betonte der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns, Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und Hetze seien mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar. „Deshalb protestieren wir, wenn Pläne geschmiedet werden, um Menschen zu deportieren wie in den finstersten Zeiten der deutschen Geschichte.“
Am Sonntagnachmittag zogen nach vorläufigen Polizeiangaben mindestens 10.000 Menschen begleitet von Sprechchören wie „Ganz Göttingen hasst die AfD!“ vom Platz der Göttinger Sieben aus zum Neuen Rathaus. In Oldenburg zählte die Polizei am Sonnabend bei drei Kundgebungen in der Spitze bis zu 15.000 Teilnehmende, in Wilhelmshaven waren es 2.500, in Emden 2.000. Vor der Celler Congress Union versammelten sich ebenfalls am Sonnabend 4.500 Menschen, auf den Herzogenplatz in Uelzen kamen 1.100 Menschen. In Lüneburg zogen am späten Songabendnachmittag nach Zählungen der Polizei mindestens 5.000 Menschen zum Marktplatz, die Veranstalter gingen von deutlich höheren Teilnehmerzahlen aus.
In Hannover unterstrich Ministerpräsident Weil, die AfD und die Rechtsextremen verschöben die Grenzen des Sag- und Denkbaren nach rechts, wenn sie etwa von „Remigration“ sprächen. Umso wichtiger seien deutliche Zeichen. „Migrantinnen und Migranten, seien sie kurz hier oder auch in der vierten Generation, sie alle sind Teil unserer Gemeinschaft.“
Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff (CDU) erinnerte an die Wannseekonferenz am 20. Januar 1942. Sie sei ein Symbol für die geplante und systematisierte Tötung der Juden Europas. „Die Wannsee-Villa wurde zum Ort deutscher Schande“, sagte er. „Wir dürfen nie wieder zulassen, dass in Deutschland über die Selektion von Menschen nach Herkunft, Aussehen, Religion, Handicap oder irgendeines anderen Kriteriums beraten wird.“
Der hannoversche evangelische Landesbischof Ralf Meister sagte, „Demokratie verlangt viel. Weil es Menschen gibt, die diese beste Staatsform der Welt nutzen, um sie zu missbrauchen.“ Es sei wichtig, die Demokratie zu verteidigen und sich für sie einzusetzen. Wer dagegen anderen Menschen Rechte abspreche, von völkischem Mythos fasele und das Parlament zur „Pöbelstube“ mache, sei ein „demokratischer Verräter!“
Auch in anderen Städten in Deutschland kamen am Wochenende Zehntausende zusammen, um gegen Rechtsextremismus und die AfD zu protestieren. Auslöser der Protestwelle war eine „Correctiv“-Recherche über ein Treffen von AfD-Vertretern mit Neonazis und Unternehmern Ende November, bei dem über die massenhafte Ausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte gesprochen wurde.