Noch vor einem Jahr kündigte Katharina Thalbach an, ihren 70. Geburtstag ignorieren zu wollen. „Das ist nicht meins. Eigentlich feiere ich keine Jubiläen“, sagte sie im Dezember 2022 in einem Interview mit „GoldeneKamera.de“. Der 100. Geburtstag ihres 2006 verstorbenen Vaters Benno Besson in der Berliner Volksbühne sei eine Ausnahme gewesen. Nun gibt es am 20. Januar 2024, einen Tag nach ihrem 70. Geburtstag, mit einer Party am Berliner Ensemble wohl die nächste Ausnahme: „Mit einer großen Geburtstagssause und zahlreichen prominenten Weggefährt:innen aus ihrem reichen Künstlerinnenleben lassen wir sie hochleben, mit Anekdoten, szenischen Beiträgen und viel Musik“, teilte das Berliner Ensemble mit. Der Abend ist seit langem ausgebucht.
Der Ort der Feier ist bedeutungsschwanger: Als 15-Jährige debütierte Thalbach dort als Hure Betty in Erich Engels Inszenierung der „Dreigroschenoper“ – mit nur zwei Sätzen Text. Im selben Jahr, im Dezember 1969, sprang sie dann als Vertretung für die große Rolle der Polly ein. Es wurde ihr Durchbruch.
Bis heute gilt: Wo auch immer Thalbach auftaucht, ist sie trotz ihrer Größe von nur rund eineinhalb Metern präsent. Unverwechselbar ist ihre tiefe Reibeisenstimme, mit der sie ein Hörbuch nach dem anderen liest. Immer den Schalk im Nacken hat sich die Frau mit den Kulleraugen und dem großen Mund auch mit 70 Jahren zugleich etwas Mädchenhaftes bewahrt. Mit ihrer Berliner Schnauze kommentiert sie frei heraus, was immer sie gefragt wird.
Dass sie mal Schauspielerin werden würde, war fast vorhersehbar. Ihr Vater Benno Besson war Intendant der Volksbühne, ihre Mutter Sabine Thalbach Teil des Berliner Ensembles. Katharina, geboren am 19. Januar 1954 in Ostberlin, wuchs im Theater auf. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter kam sie mit zwölf Jahren zu Pflegeeltern und wurde Meisterschülerin der Brecht-Witwe Helene Weigel. Thalbachs Tochter Anna und Enkelin Nellie sind ebenfalls Schauspielerinnen.
Sie habe früh erwachsen werden müssen, das habe sie geprägt, betont „die Thalbach“ häufig in Interviews. Sie kennt, was sie spielt, wenn sie in ihrer Paraderolle zu sehen ist: einer resoluten Frau, die sich durchboxt, ob als Wendeverliererin oder Schlecker-Frau („Die Schlickkerfrauen“, 2014).
So arbeitete sie sich hoch bis zur Rolle der Bundeskanzlerin „Angela Murkel“ in der Satire „Der Minister“ (2012). Die verkörperte sie auch 2023 in „Miss Merkel – Ein Uckermark-Krimi“. Mit der Ex-Regierungschefin verbinde sie einiges, sagte Thalbach dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, nicht nur der gleiche Geburtsjahrgang: „Ich bin auch aus der DDR, ich liebe auch Physik, ich liebe auch Eintöpfe.“
Katharina Thalbach blickt zurück auf ein rund 55-jähriges Schaffen: Bis 1971 gehörte sie dem Berliner Ensemble an, nach vier Jahren an der Volksbühne kehrte sie dorthin zurück. 1976 siedelte sie mit dem Schriftsteller Thomas Brasch (1945-2001) nach ihrem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns nach Westberlin über. Sie war 16, als sie Brasch kennenlernte, ihn bezeichnet sie als ihre „große Liebe“. Am Schillertheater debütierte sie in Westberlin 1978 in der Titelrolle von Braschs „Lovely Rita“.
Auch auf der Kinoleinwand war und ist Thalbach eine markante Ausnahmeerscheinung: In Volker Schlöndorffs „Die Blechtrommel“ (1978/79) gab sie Oskars Stiefmutter und Liebhaberin Maria, sie war die Hure Lotte in Doris Dörries „Paradies“ (1986) und die Mutter Doris in Leander Haußmanns „Sonnenallee“ (1999). 2007 bekam sie für die Rolle einer Kranführerin und Gewerkschafterin in „Strajk – Die Heldin von Danzig“ den Bayerischen Filmpreis.
Etliche Male bewies sie ihr Talent für Hosenrollen – sei es als „Hauptmann von Köpenick“ am Berliner Maxim Gorki Theater (1996) oder als Preußenkönig im Fernsehfilm „Friedrich“ (2012). Sie wirkte außerdem in Kinderbuchverfilmungen mit wie „Der Räuber Hotzenplotz“, „Bibi & Tina“ und „Hanni und Nanni“.
Seit ihrem „Macbeth“-Debüt (1987) führt sie im Theater und insbesondere im Musiktheater auch Regie. Und sie steht auf der Bühne: In der Komödie am Kurfürstendamm war sie zuletzt im „Mord im Orientexpress“ als Meisterdetektiv Hercule Poirot zu sehen.
Im Fernsehen war sie in der „Extraklasse“-Reihe bis 2022 die WG-Mitbewohnerin eines Abendschullehrers (Axel Prahl) – eine Rolle, in die möglicherweise eigene Erfahrung einfloss: Seit die Schauspielerin ihre Wohnung in Berlin-Mitte wegen einer Eigenbedarfskündigung räumen musste, wohnt sie – wenn sie nicht in ihrem Haus in Brandenburg ist – selbst in einer Wohngemeinschaft.