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“Maria” – Die Callas-Stimme in himmlischen Sopranregionen

Hier fließen Traum und Realität, Vergangenheit und Gegenwart ineinander. Pablo Larrain legt mit “Maria” ein Porträt der Sängerin Maria Callas vor. Der Film widmet ihr als opernhafte Hommage einen letzten Akt.

Mit “Maria”, einem fiktionalisierten Porträt der griechischen Sängerin Maria Callas (1923-1977), rundet Pablo Larrain seine Trilogie über historische Frauenfiguren des 20. Jahrhunderts ab. Und fokussiert auf die letzten Lebenstage der Callas (gespielt von Angelina Jolie) vor ihrem Tod im September 1977.

Primadonnen haben viele Bühnentode hinter sich, bevor ihr reales Leben endet. Können sich Opernsängerinnen im tragischen Fach besser auf das wirkliche Finale vorbereiten als Normalsterbliche? Tatsächlich erzählt “Maria” von einer Frau, die ihrem nahen Tod gefasst entgegentritt. Callas, die im Alter von nur 53 Jahren an einem Herzinfarkt starb, wird von dem britischen Drehbuchautor Steven Knight als gereifte Künstlerin charakterisiert, die sich am Lebensende die Deutungshoheit über ihre Biografie zurückholt und ihren eigenen Abgang inszeniert.

So wird es real nicht gewesen sein. Umso überzeugender konstruiert “Maria” eine Callas-Figur, die alle bisherigen biografischen Ansätze hinter sich lässt. “Maria” ist als Beleg dafür zu nehmen, dass das Phänomen Callas am besten “theatralisch” zu fassen ist – im Sinne einer zwischen Lebensrealität und Oper wechselnden Form.

In Verdis “Otello” ist Callas nie aufgetreten, aber sie hat Desdemonas Nachtgebet 1964 für die Schallplatte aufgenommen. Die Filmzuschauer hören am Beginn des Films diese Stimme, die noch im Abgesang ein Wunderwerk an Ausdruck und Kunstfertigkeit war. Während sich diese vom Leben gezeichnete, flackernde Stimme auf der Tonspur in die hohe Lage aufschwingt, sind große Momente der Laufbahn der Callas zu sehen.

Jolie verkörpert die alternde, tablettensüchtige und herzkranke Callas derart überzeugend, dass man bald nicht mehr an Schauspielerei und Inszenierung denkt. Callas’ Problem war, dass die Publikumsgunst schnell in Hass umschlagen konnte, wenn ihr Perfektionismus und ihre Liebe zur Musik die Sängerin zwangen, Vorstellungen abzusagen. Besonders der “Rome Walkout” 1958 – ihr Abgang nach einem mit schwerer Erkältung durchgestandenen ersten Akt von “Norma” – zeitigte schwerwiegende Folgen für die Psyche der Sängerin. Das “Doppelleben” einer empfindsamen Frau und eines unverwundbar scheinenden Bühnentiers spielt in “Maria” eine zentrale Rolle.

Larrains Callas-Film ist auf einen eng begrenzten Zeitraum fokussiert, in den Rückblenden und Fake-Dokumentarszenen eingeflossen sind. Die Rahmenhandlung zeigt die letzten Tage der Diva in Paris, wie sie ihre Pudel füttert und von ihrem Butler und Chauffeur Ferruccio (Pierfrancesco Favino) sowie ihrer Köchin Bruna (Alba Rohrwacher) umsorgt wird.

Ein Beispiel für die raffinierte Montage von Bild und Ton ist eine zwischen Theaterauftritt an der Pariser Oper – irgendwann in den frühen 1960er Jahren – und Callas’ Küche wechselnde Sequenz, in der man die berühmte “Casta Diva”-Arie einmal mit und ohne Orchester hört. In der Küche brutzelt zur Gesangsbegleitung nur das Omelett in der Pfanne. Köchin Bruna hat gewissermaßen das Dirigat übernommen.

Doch Callas will sich gerade in dieser Lebensphase nicht dominieren lassen. Die Pillen nimmt sie gegen Brunas und Ferruccios Rat und die Anweisung ihres Arztes (Vincent Macaigne) trotzdem weiter. Traum und Wirklichkeit, das Gestern und die Gegenwart, Oper und “Ordinary Life” fließen ineinander: Eindrucksvoll, fast kitschig eine eingebildete Stand-Up-Aufführung von Puccinis “Madama Butterfly” vor der Opéra Bastille, mit kostümierten Choristinnen und einer Callas, der die Bühnenschminke im Pariser Regen vom Gesicht herunterläuft.

Mit gewaltigem Aufwand hat Larrain bei Cherubinis “Medea” und Donizettis “Anna Bolena” die entsprechenden, fotografisch überlieferten Inszenierungen mit Jolie in Callas-Kostümen nachinszeniert. Sorgfältig wurden auch die Musikstücke und entsprechenden Schallplatten-Aufnahmen ausgesucht.

Mit ihrer Stimme ging es bergab, als Callas 1959 ihren Landsmann, den Milliardär Aristoteles Onassis kennenlernte; ihre Liebesgeschichte war gefundenes Fressen für den Boulevardjournalismus und fehlt bis heute in keiner Callas-Biografie. Bald nach der Begegnung mit Onassis ließ sich die Sängerin von ihrem wohlhabenden Förderer und Ehemann Giovanni Battista Meneghini scheiden. Letzterer spielt in “Maria” nur einen Nebenpart, während Onassis (Haluk Bilginer) eine größere Rolle zugedacht bekommt: Hier einmal nicht primär als rücksichtsloser Macho, der Callas wie ein Schmuckstück begehrt und nach knapp zehn Jahren sitzenlässt, um mit Jackie Kennedy anzubandeln. Larrain zeigt Callas – deren Freundschaft mit Onassis sich am Ende wieder vertiefte – am Sterbebett des Milliardärs.

“Maria” ist der mit Abstand aufwändigste Callas-Film, der bisher ins Kino kam. Larrain nutzt den verfügbaren technischen Apparat, um Callas’ Lebensumstände und das Paris der späten 1970er Jahre zu rekonstruieren – inklusive Flashbacks, die bis in ihre Jugend im von Nazis besetzten Griechenland zurückreichen.

“Maria” ist keine lupenrein faktentreue Filmbiografie und will das auch nicht sein. Angesichts der vielen Pillendosen in ihrer Schublade müsste Callas weit zerrütteter sein, als Jolie sie verkörpert. Ihre Film-Callas ist eine zwar nervlich angegriffene, reizbare Frau, bei der trotzdem Abgeklärtheit und innere Reife vorherrschen. Allen Vorbehalten zum Trotz: Jolie spielt sowohl die Callas-Rolle als auch die Rollen der Callas in deren Bühnenauftritten hinreißend, ohne Übertreibungen und gerade deshalb tief bewegend.

Callas war eine öffentliche, eine gefeierte wie geschmähte Frau. Jeder Opernabend war für sie von Euphorie und Versagensangst zugleich geprägt. Aber sie will nicht mehr – mit Hermann Hesse – die Kerze sein, die an beiden Enden brennt. Sie will ihren Frieden mit der Welt schließen.

Callas, souverän auch auf dem politischen Parkett? Hier nimmt “Maria” den Mund wahrscheinlich etwas zu voll. Was die Künstlerin angeht, muss man Ingeborg Bachmann beipflichten, die sie 1956 an der Scala als “La Traviata” erlebte: “Da steht ein gefährlicher Mensch auf der Bühne. Ein Mensch, der gefährlich sein wollte und sich selbst gefährdete, um zu ergreifen”, schrieb Bachmann, die fand, dass Callas “singt und spielt, als hätte sie einige Teufel und Engel in sich”. Genau das hört man im “Ave Maria” der von Shakespeares und Verdis Konzeption her engelhaften Desdemona. Die Callas-Stimme schwebt in himmlischen Sopranregionen.

Aber es schwingt etwas Dunkles, Abgründiges darin mit, ein Lebensschmerz, den Steven Knight, Pablo Larrain und Angelina Jolie durchaus begriffen haben. Einen stärkeren Schlussakt der Frauentrilogie, die Larrain mit “Jackie” begann und mit “Spencer” fortführte, kann man sich kaum vorstellen.