Naturschutz ist seit Jahrzehnten ein etabliertes Thema in der Politik, dem jedoch – je nach Regierungspartei oder gerade virulenter anderer Probleme – mal mehr, mal weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. Eine kontuinierliche Arbeit leistet seit 25 Jahren das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Seither berät die Behörde mit Sitz in Bonn das Bundesumweltministerium, fördert Projekte und Forschung im Bereich Naturschutz. Im Interview mit Paula Konersmann spricht die Präsidentin des BfN, die Landespflegerin Beate Jessel, über ihren Einsatz für die Umwelt.
Frau Jessel, warum ist Naturschutz besonders wichtig?
Es geht um unsere natürlichen Lebensgrundlagen: Die biologische Vielfalt stellt wesentliche Grundlagen für unsere Existenz bereit. Die aktuelle Diskussion um Insektenrückgang und Bestäubung von Pflanzen ist ein anschauliches Beispiel dafür. Wichtig sind auch eine nachhaltige und für die Natur verträgliche Bewirtschaftung unserer Landschaften, intakte Böden, sauberes Wasser.
Der Mensch braucht die Natur.
Die emotionale, ästhetische Wahrnehmung der Natur ist eine wichtige Quelle menschlichen Wohlergehens. Die Natur um uns und die Natur in uns beeinflussen sich gegenseitig – und wenn wir die Natur um uns nicht mehr erfahren, fehlt uns das für unsere innere Natur.
Es mehren sich Berichte, wonach Kinder keine Gemüsesorten mehr erkennen. Nimmt das Bewusstsein für die Natur bei der jüngeren Generation ab?
Wir führen in zweijährigen Abständen repräsentative sogenannte Naturbewusstseinsstudien durch. Daher wissen wir, dass dieses Bewusstsein in der Gruppe der jungen Erwachsenen, also der 18- bis 29-Jährigen, geringer ausgeprägt ist als bei älteren Menschen. Auch der Wandel der Landschaft, etwa durch den Bau von Windrädern, wird weniger intensiv und nicht so negativ wahrgenommen. Ob sich diese Erkenntnisse auf die jüngere Generation verallgemeinern lassen, wissen wir nicht. Wir bereiten dazu aber gerade eine große Studie mit Jugendlichen vor.
Das Bundesamt für Naturschutz feiert in diesem Jahr 25-jähriges Bestehen. Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen in der Arbeit der Behörde?
In der Vernetzung der unterschiedlichen Akteure. Wenn wir eine nachhaltige Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei wollen, dann ist dafür nicht allein das Bundesumweltministerium verantwortlich. Auch andere Ressorts sind gefragt. Ähnlich wie beim Thema Infrastruktur: Verkehr, Netzausbau, erneuerbare Energien. Die Frage stellt sich immer wieder neu, wie man den Naturschutz in diese Bereiche hineintragen kann.
Sie sind seit elf Jahren im Amt. Was hat sich seither verändert?
Naturschutz ist kein Randthema mehr, mit dem sich einige „Käferzähler“ befassen, sondern er ist breit in der Gesellschaft angekommen. Auch wenn es Defizite beim Naturbewusstsein geben mag – die Aufmerksamkeit für Fragen des Naturschutzes ist gestiegen.
Manchmal entsteht der Eindruck einer Verengung der politischen Debatte. Der Klimawandel ist in aller Munde, andere Themen kommen zu kurz. Teilen Sie diesen Eindruck?
Aufmerksamkeit erregen vor allem plakative Bilder. Das zeigt sich beim Thema Plastikmüll: Die Vermüllung am Strand, verendende Seevögel – das alles ist gut sichtbar und bewegt die Menschen. Schwieriger ist es mit eher abstrakten, schleichenden Entwicklungen.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Bereits seit Jahrzehnten sind die Insektenzahlen in der Agrarlandschaft rückläufig. Wir haben in diesem Zusammenhang immer von einem Insektenrückgang gesprochen – aber erst, als die Medien daraus ein „Insektensterben“ machten, wurde eine breite Öffentlichkeit darauf aufmerksam. Es braucht wohl einen „Kick“, damit die Menschen spüren, dass ein Thema wichtig ist.
Trotzdem scheint es – Stichwort Klimawandel – von der öffentlichen Aufmerksamkeit bis hin zu einem echten politischen Wandel ein langer Weg zu sein.
Da gibt es in der Tat große Umsetzungsdefizite. Denn es ist mittlerweile ausgesprochen unsicher, ob das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf zwei Grad – nach Möglichkeit ja sogar auf anderthalb Grad – zu begrenzen, noch erreichbar ist.
Welche weiteren Themen gehören dringend auf die Agenda?
Beim Insektenrückgang steht die Honigbiene stark im Fokus. Dabei sind es nicht nur Bienen und auch nicht nur die Bestäuber, die von Bedeutung sind, sondern die Gesamtheit der Insekten. Insekten sind auch wichtig für das Bodenleben, für die Zersetzung von Boden zu Humus, oder für die Gewässerreinigung. Solche Zusammenhänge sind kaum im breiten Bewusstsein verankert. Dann bräuchten wir endlich eine Agrar- und Fischereiwende hin zu mehr Naturverträglichkeit.
Was kann jeder Einzelne tun?
Wir als Konsumenten können durch unsere Kaufentscheidungen zum Beispiel eine ökologische und regionale Landwirtschaft unterstützen, indem wir biologisch verträgliche Produkte kaufen, die möglichst auch in der Region erzeugt werden. In den Industrieländern wird zudem ein erheblicher Teil der Lebensmittel weggeworfen. Jeder sollte nicht mehr kaufen, als er tatsächlich verbraucht.
Wir sprachen über Insekten…
Durch eine entsprechende Gestaltung des eigenen Gartens kann jeder einen Akzent setzen: Blumen, Kräuter und Wiesen, anstatt steriler Rollrasen oder Steinwüsten mit einzelnen Pflanzen, die alles andere als insektenfreundlich sind.
Wie wichtig sind prominente Verbündete für Ihre Arbeit?
Prominente haben eine wichtige Vorbildfunktion. Der Schutz unserer Lebensgrundlagen ist ein Nenner, den viele Religionsgemeinschaften gemeinsam haben. Wir haben das Netzwerk „Religionen für biologische Vielfalt“ angestoßen, das vom Abrahamischen Forum gemanagt wird. Die Religionsgruppen setzen sich dort gemeinsam für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen ein.