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Kuchen in der Fastenzeit

Jetzt habe ich Gänsehaut“, sagt Johanna. Vor ihr biegt sich der Tisch unter einem reichen Osterfrühstück: Schinken und Wurst in allen Variationen, dazu jede Menge süße Eier – alles Dinge, auf die die große Familie sieben Wochen lang verzichtet hat. Das Fastenbrechen wird zum Fest. Und während eine Köstlichkeit nach der anderen verschwindet, erzählen alle von ihren Erfahrungen mit dem Verzicht – und mit dem Scheitern.
Da ist die Käsestange für die Mittagspause, in der sich überraschend auch noch Speck befand. Essen oder nicht? „Na klar“, sagt eine. „Sollte ich es wegschmeißen?“ Da ist das vertauschte Glas auf der Party, in dem neben Cola auch noch ein kräftiger Schuss Wodka war. Ausspucken? „Ich hab es geschluckt und das Glas unauffällig zurückgestellt“, erzählt ein anderer. Und Johanna, die eine an Krebs erkrankte Freundin besuchte, kam nicht um ein Stück Kuchen herum. „Die Mutter hatte so viel gebacken“, sagt sie. „Da konnte ich sie doch nicht enttäuschen, nur um mein Fasten zu halten.“

Mangelnde Konsequenz? Nein – sondern eine Haltung, die schon Jesus vorgelebt hat: Religiöse Regeln sind gut, wenn sie helfen, ein möglichst Gott gemäßes Leben zu führen – aber wenn es dem Menschen dient, ist es erlaubt, ja, geradezu geboten, sie zu übertreten. Denn es geht nicht um die Regel an sich, sondern um den Geist, der dahintersteht. Und der heißt in der Bibel: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Diesem Gebot sind alle anderen untergeordnet, egal, wie streng sie auch formuliert sein mögen. In diesem Sinne kann ein Stück Kuchen in der Fastenzeit genau das Richtige sein.