Wird der Konflikt zwischen Kosovo und Serbien zur unendlichen Geschichte – und damit zur Dauerblockade auf dem Weg in die EU? Eine Begegnung mit Kosovos Chefdiplomatin Donika Gervalla-Schwarz spendet wenig Optimismus.
Wer einen Pass aus Kosovo hat, muss draußen bleiben: Maskiert und mit einer klaren politischen Botschaft blockierten Serben am vergangenen Wochenende mehrere Grenzübergänge und hinderten Kosovo-Albaner an der Durchreise. Der Streit zwischen den Balkan-Nachbarn drohte erneut zu eskalieren. Während Kosovo heute als stabile Demokratie gilt, bedroht der Zwist mit Serbien nicht nur die Sicherheit im serbisch bewohnten Norden des Landes, sondern obendrein die Aussicht auf einen baldigen EU-Beitritt beider Länder. Kosovos Außenministerin rechnet mit weiterer Provokation aus Belgrad.
Pristina: klimatisiertes Büro, hinter dem Schreibtisch die blau-gelbe Flagge Kosovos. Donika Gervalla-Schwarz sitzt auf einem weißen Fauteuil. Über die Herausforderungen, vor denen ihr Land steht, berichtet sie in akzentfreiem Deutsch: Mehr als 30 Jahre lang lebte die studierte Flötistin, Juristin und Politaktivistin in der Bundesrepublik, ehe sie 2021 Kosovos Chefdiplomatin wurde.
Mit ihrer natürlichen Ruhe ist es vorbei, wenn die Sprache auf den Konflikt mit Serbien kommt. Denn obwohl auch die Bevölkerung im Nachbarland eine Normalisierung der Beziehungen wolle, setze Staatspräsident Aleksandar Vucic weiter auf Eskalation: “In einem Punkt verstehe ich Herrn Vucic: Wenn das Thema Kosovo erst einmal vom Tisch ist, werden die Serben anfangen, über seine Vetternwirtschaft und die alles überragende Korruption zu reden. Das will er vermeiden.”
2008 hatte sich Kosovo von Serbien losgesagt. Der Unabhängigkeitserklärung war ein Krieg mit mehr als 13.000 Toten vorausgegangen. Doch die Unabhängigkeit Kosovos sei nicht das Ergebnis einer Abspaltungsbewegung im alten Jugoslawien, betont Gervalla-Schwarz. Stattdessen sei es darum gegangen, einen “Genozid” zu beenden.
Das deckt sich mit der Erklärung der Nato, die 1999 jugoslawische Ziele bombardierte, um eine “humanitäre Katastrophe” zu verhindern. Denn in Kosovo hatte das Regime von Autokrat Slobodan Milosevic eine blutige Kampagne gegen die dortige albanische Bevölkerungsmehrheit gestartet. Den KFOR-Friedenstruppen gelang es, Milosevics Armee zu vertreiben, die Region wurde unter UN-Verwaltung gestellt.
“Mein Problem ist nicht mehr allein das Serbien der 1990er, sondern das Serbien von heute”, erläutert Gervalla-Schwarz. Nicht nur, weil mit Vucic und Innenminister Ivica Dacic zwei ehemalige Milosevic-Minister eine repressive Politik betrieben. “Serbien ist auch der engste Alliierte Wladimir Putins auf unserem Kontinent. Damit ist Serbien nicht nur kein guter Partner für Kosovo, es ist kein guter Partner für Europa.”
25 Jahre nach Beginn des Nato-Einsatzes bleiben an die 4.500 Soldaten als Teil der KFOR-Friedenstruppe in Kosovo stationiert. Aus politischer Sicht gilt das Land als Vorzeigeprojekt des Westens auf dem Balkan. Dennoch: Zuletzt musste auch Kosovos proeuropäische Regierung Kritik von seinen Verbündeten EU und USA einstecken. Als “Alleingänge” bezeichnen Beobachter die jüngste Zwangsschließung serbischer Banken, Postämter und Verwaltungen in Nordkosovo – “illegale Parallelstrukturen”, wie die Regierung von Ministerpräsident Albin Kurti betont. Doch die Schließung ohne Rücksprache mit Serbien und der EU stößt dem Westen sauer auf. Laut US-Botschafter Jeffrey Hovenier habe sie die “Qualität der Beziehungen zwischen Kosovo und USA” beeinflusst.
Ob die Alleingänge Kosovos EU-Perspektive aufs Spiel setzen? Darauf kontert Gervalla-Schwarz: “Wissen Sie, seit wann diese illegalen Parallelstrukturen nicht mehr existieren dürften? Seit mehr als einem Jahrzehnt. Das war in Brüssel vereinbart worden, und Brüssel hat Serbien mehrmals aufgefordert, diese Büros zu schließen.”
In den Sonderbeauftragten der EU, Miroslav Lajcak, der in dem Dialog zwischen Belgrad und Pristina vermittelt, setzt die Außenministerin wenig Hoffnung. Mehr noch: Dessen jüngste Aussage, wonach Kosovaren und Serben “nicht bereit” für eine Normalisierung seien, findet Gervalla-Schwarz unverschämt: “Jemand, der von europäischen Steuerzahlern schwer bezahlt wird, hat die Frechheit, für seine Versäumnisse nicht nur die Politik der Länder, sondern obendrein die Gesellschaften verantwortlich zu machen.” Die Chefdiplomatin fordert Konsequenzen.
Die Früchte des Streits erntet die serbische Minderheit in Kosovo: Sie ist zerrissen zwischen der Propaganda aus Belgrad und der Integration in das kosovarische System. “Wir haben ja kein Problem mit ihnen und sie auch nicht mit uns”, sagt ein ethnisch albanischer Taxifahrer nach dem Interview. Auch in den nächsten Monaten werde man die Serben wieder zum Skifahren in den Bergen treffen. Wie jedes Jahr.