Artikel teilen:

Konzept zur Suizidvorbeugung vorgestellt – Zuletzt mehr Fälle

Zentrale Ansprechpartner, mehr Schulungen und weniger Zugang zu Methoden: Dies plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur Vorbeugung von Suiziden. Fachleute fordern schon lange Maßnahmen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fand deutliche Worte. Der Gesellschaft dürften Betroffene von Suizid, deren Angehörige und auch Hilfskräfte nicht egal sein: “Wir müssen das gesellschaftliche Tabu von Tod und Suizid überwinden, psychische Erkrankungen von ihrem Stigma befreien und Hilfsangebote besser bündeln”, sagte er am Donnerstag in Berlin. Um dies zu erreichen, hat Lauterbach konkrete Maßnahmen vorgeschlagen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt Hintergründe zu Suiziden – und nennt Hilfsangebote.

Wie haben sich die Suizidzahlen in den vergangenen Jahren entwickelt?

Über mehrere Jahrzehnte hinweg haben sich die Suizidzahlen deutlich verringert. 2022 töteten sich in Deutschland 10.0119 Menschen selbst; damit stieg diese Zahl erstmals seit mehreren Jahren wieder auf über 10.000. Das bedeutet, dass sich alle 56 Minuten ein Mensch selbst das Leben nimmt, fast 30 pro Tag. Das sind mehr Tote als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen zusammen. Die Höchstzahl der Suizide in Deutschland lag 1981 bei 18.825.

Die Zahl der Suizidversuche liegt sicherlich deutlich höher?

Nach Schätzungen des Nationalen Suizidpräventionsprogramms unternehmen jährlich über 100.000 Menschen einen Suizidversuch.

Betroffen sind immer auch Angehörige und Freunde…

Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass von jedem Suizid durchschnittlich etwa sechs nahe Verwandte und Freunde betroffen sind. Für Hinterbliebene sei es wichtig, dass über Suizide offen gesprochen werden könne, ohne dass sie befürchten müssten, ausgegrenzt zu werden, betonen Experten. Sie gehen zugleich davon aus, dass weitere Menschen aus dem näheren Umfeld von einem Suizid betroffen sein können, darunter Arbeitskollegen, Mitschüler, Ärzte und Therapeuten, aber auch Polizisten, Feuerwehrangehörige sowie Zeugen suizidaler Handlungen.

Welche Gruppen sind besonders betroffen?

In allen Altersgruppen sterben deutlich mehr Männer durch Suizid als Frauen. Zudem wird Selbsttötung zunehmend ein Phänomen des höheren Lebensalters. Fachleute erklären dies damit, dass Verluste sich im Alter häufen. Vor allem ältere Männer suchten in solchen Lebenskrisen dann kaum Hilfe.

Was sind die wichtigsten Ursachen für Suizide?

Für Selbsttötungen sind nach Einschätzung der Experten immer vielfältige Gründe verantwortlich. Weder ein einzelnes Ereignis noch das Vorliegen einer psychischen Erkrankung erklären alleine einen Suizid. “Der Suizid ist Endpunkt einer komplexen und krisenhaft erlebten Entwicklung, an deren Ende der Betroffene psychisch nicht mehr in der Lage ist, Hilfe anzunehmen und einen anderen Ausweg für sich zu erkennen”, heißt es. Der Verlust des Arbeitsplatzes, wirtschaftliche Bedrohung und Armut, traumatische Erlebnisse, der Verlust nahe stehender Personen, Rückzug und soziale Isolation gelten als Risikofaktoren für einen Suizid.

Was weiß man über Menschen, die einen Suizid planen?

Betroffenen fällt es zumeist schwer, über ihre Suizidgedanken mit einem Arzt oder Therapeuten zu sprechen. Laut Studien haben Menschen vor einem vollendeten Suizid viel häufiger als üblich einen Arzt aufgesucht, der die Gefährdung aber nicht erkannte. Häufig besteht eine Angst darin, nicht ernst genommen zu werden, soziale Kontakte zu verlieren, als psychisch krank bezeichnet zu werden und die Selbstbestimmung durch zwangsweise Behandlung zu verlieren. Außerdem haben nicht wenige die Vorstellung, dass sie niemand verstehen und niemand ihnen helfen könne.

Was lässt sich gegen Suizide tun?

Eines der wirksamsten Mittel ist nach Expertenangaben – soweit möglich – die Einschränkung der Verfügbarkeit von Suizidmethoden (Waffen, Medikamente, Chemikalien, Absicherung von Bauwerken). Wichtig sind außerdem niedrigschwellige Behandlungsangebote, die Fortbildung in medizinischen und psychosozialen Berufen, die Förderung der Früherkennung und nicht zuletzt ein gesellschaftliches Klima, in welchem die Suizidproblematik ernst genommen wird.

Wer unterstützt bei psychischen Krisen?

Wer etwa an einer Depression leidet, sollte in jedem Fall professionelle Hilfe suchen. Der erste Ansprechpartner ist der Hausarzt, der Betroffene an einen Psychotherapeuten oder Psychiater überweisen kann. Wer unsicher ist, kann sich an das Info-Telefon Depression wenden (0800-3344533) oder an die Telefonseelsorge (0800-1110111, 0800-1110222 oder 116123, auch per Chat oder Mail).

Wie kann man Betroffenen von psychischen Problemen helfen?

Experten raten dazu, sich zu informieren: Das kann etwa bei einem gemeinsamen Arztbesuch geschehen. Daneben braucht es Geduld. Wenn Angehörige sich selbst überlastet fühlen, gibt es Selbsthilfegruppen und Beratungsangebote, etwa beim Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe mahnt zudem, sich mit gut gemeinten Ratschlägen zurückzuhalten. Eine Befragung unter Betroffenen ergab, dass scheinbar schlichte Botschaften oft am meisten helfen, zum Beispiel: “Du bist mir wichtig”, “ich versuche, diese Krankheit zu verstehen” oder “wir schaffen das zusammen”.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 eine Entscheidung zu Suiziden gefällt, die viele Menschen erstaunt hat. Wie passt das zu all den Bemühungen um Prävention?

Bei der Entscheidung ging es um wirklich frei verantwortete Suizide. Das Gericht hat sie als zentralen Ausdruck von Selbstbestimmung gewertet. Im Umkehrschluss haben die Richter aber dazu ermuntert, einen Rahmen zu setzen, damit Suizide nicht durch äußeren Druck oder aufgrund von Depressionen erfolgen. Auch Bundestagsabgeordnete betonen, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, als seien Suizide ein normaler Weg, um Probleme zu lösen und aus dem Leben zu scheiden.