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Konfliktforscher: Weltweit mehr zuhören und weniger belehren

Mit einem globalen Blick auf zunehmende Konflikte in der Welt hat Münster des Westfälischen Friedensschlusses vor 375 Jahren gedacht. Dabei wurden insbesondere Sicht und Verhalten des Westens kritisch besprochen.

“Amerikaner und Europäer sagen Dinge, die durchaus wichtig und richtig sind, tun dies aber auf eine abschreckenden Art”, stellte etwa der Direktor des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), Dan Smith, fest. Bei der Gesprächsrunde am Dienstagabend unter dem Titel “Westphalian Peace Summit 2023” wies die indische Expertin für Außen- und Sicherheitspolitik Ummu Salma Bava beispielhaft auf den weiteren Kontext des Ukraine-Kriegs hin. “Der ist nicht nur ein Konflikt zwischen Demokratie und Totalitarismus, zwischen Gut und Böse, wie es in Europa vereinfacht dargestellt wird”.

Natürlich sei Russlands Überfall ein Rechtsbruch gewesen. “Aber wie wurde das vor den Vereinten Nationen präsentiert?”, fragte sie im vollbesetzten Theater der Stadt Münster. Allein das habe Gespräche erschwert. Der Westen müsse noch verstehen, dass die Welt sich in einer ausgedehnten Übergangsphase befinde, mahnte Bava. Inzwischen bestünden auch andere Mächte auf ihrer Sicht und ihren Interessen. Schließlich hätten Europa und die USA jahrzehntelang auf ihren Versionen von Grundrechtsauffassungen und Konfliktlösungen bestanden.

Auf abstrakten Werten zu bestehen, komme belehrend daher und sei angesichts des tatsächlichen Verhaltens des Westens zudem oft heuchlerisch. Für eine neue Weltordnung seien Werte zwar wichtig, taugten aber wenig als Gesprächsgrundlage, warnten Smith und Bava. Das mache Gespräche schwierig, weil sie verschieden ausgelegt würden. Besser sei es, an guten Beziehungen zu arbeiten. Generell sollten Menschen einander doppelt so intensiv zuhören wie sie reden und dabei auch auf Ungesagtes hören, mahnte Smith. “Nicht umsonst hat der Schöpfer uns zwei Ohren und nur einen Mund gegeben”.

Solange Menschen Demokratie und Menschenrechte nicht mit ihrem konkreten Alltagsleben verbinden könnten, sei eine solche Debatte wenig ergiebig, warnte die liberianische Friedensaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee. Es sei relativ sinnlos, “einem Menschen, der nichts zu essen hat, zu sagen: Du hast das Recht auf freie Rede; oder: Du kannst beten, wie du willst, aber deine Kinder nicht zur Schule schicken.”

Die Frage, ob Menschen im globalen Süden einen spezifischen Ansatz für Konfliktlösungen hätten, verneinte Gbowee. “Frieden hat keine Georgraphie, es geht vor allem um Würde.” Allerdings spielten Frauen und ihre Rechte eine große Rolle. “Das gilt im Süden wie im Norden”, so die Nobelpreisträgerin. Mittags hatten die Podiumsgäste bereits mit Studierenden der Uni Münster über den Frieden in einer multipolaren Welt gesprochen.

Am späten Nachmittag hatten Vertreter der christlichen Kirchen mit einem Abendgebet in der Apostelkirche des Friedensschlusses vor 375 Jahren gedacht. Um Frieden zu stiften, seien Dialog und vor allem die Fähigkeit, verzeihen zu können, unerlässlich, so der evangelische Theologe und Psychotherapeut Michael Utsch in seiner Predigt.

Bereits am Montagabend hatten in Münsters Rathaus Kirchenvertreter beim 2. Ökumenischen Friedensdialog gefordert, gesellschaftlichen Rissen entgegenzuwirken. Dazu sollten gerade die Kirchen Begegnung, Austausch und konstruktive Diskurse ermöglichen.

Es sorge für Zorn und Sprachlosigkeit “zu erleben, wenn Menschen Angst davor haben, das zu sagen, was sie denken und sie für ihre Meinung bedrängt, verletzt und angefeindet werden”, meinte der Hildesheimer katholische Bischof Heiner Wilmer, Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax. “Statt sich mit dem anderen auseinanderzusetzen, wird die Person abgelehnt. Das ist eine dramatische Entwicklung”, mahnte er.

Dass dies ein weltweites Problem ist, darauf verwies Landesbischof Friedrich Kramer, Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. “Es werden keine Diskurse mehr geführt, das Gegenüber wird nicht mehr als gesprächswürdig wahrgenommen”, betonte er. Gesine Schwan, Präsidentin der Berlin Governance Platform, mahnte, im öffentlichen Diskurs seien Respekt und Wertschätzung unbedingt erforderlich. Leider sei diese Notwendigkeit bei vielen nicht präsent.