Als Staatssekretärin im Auswärtigen Amt hat Jennifer Morgan (58) Deutschland bei mehreren UN-Klimakonferenzen vertreten und war in der ganzen Welt unterwegs. Zuvor war die gebürtige US-Amerikanerin Geschäftsführerin von Greenpeace International. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt sie, warum ihr der Klimawandel im Wahlkampf zu kurz kommt – und was ihr angesichts wiederholter Temperaturrekorde Hoffnung macht.
epd: Sie sind seit drei Jahren Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik der Bundesregierung, waren als Staatssekretärin im Auswärtigen Amt auf drei UN-Klimakonferenzen und zu Gesprächen und Verhandlungen in der ganzen Welt unterwegs. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie erreicht haben?
Jennifer Morgan: Wir haben viel geschafft, aber die Folgen des Klimawandels zeigen sich immer heftiger. Es gibt noch viel zu tun. Wenn ich an die zurückliegenden Jahre denke, gibt es ein paar Meilensteine für mich.
epd: Nämlich?
Morgan: Wir haben durch unsere Klimaaußenpolitik wirklich zu einer Beschleunigung der Energiewende beigetragen. Ich denke da etwa an die Weltklimakonferenz in Dubai, bei der wir uns auf die Abkehr von fossilen Brennstoffen und eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien geeinigt haben. Aber auch unsere Klima- und Energiepartnerschaften mit mehr als 40 Ländern sind ein wichtiger Baustein.
Außerdem haben wir ein bisschen mehr Gerechtigkeit geschaffen für die ärmsten und verletzbarsten Länder der Welt. Wir haben erfolgreich einen Fonds für Schäden und Verluste auf den Weg gebracht. Für die Inselstaaten war das seit 30 Jahren eine wichtige Forderung. Und: Beim Klimagipfel in Baku haben wir vergangenes Jahr in der internationalen Klimafinanzierung ein neues Paradigma geschaffen.
epd: Aber gerade in Baku war die Unzufriedenheit am Ende doch groß. Viele Entwicklungsländer wollten mehr und sagen: Es reicht nicht, was jetzt auf dem Tisch liegt.
Morgan: Es waren sehr schwierige Verhandlungen. Aber letztlich haben wir erreicht, dass neue Geberländer – reiche Länder mit hohen Emissionen – auch einen Beitrag leisten und mehr private Investitionen fließen. Entscheidend ist, dass wir nun an der Umsetzung des Ziels arbeiten, die Klimainvestitionen in Entwicklungsländern bis 2035 auf jährlich 1,3 Billionen US-Dollar zu steigern. Viele Länder wollten mehr öffentliche Gelder, das stimmt. Aber ich glaube, wir haben eine gute Balance geschaffen.
epd: Seit Ende Januar sitzt Donald Trump wieder im Weißen Haus. Er verharmlost die Klimakrise, will mehr Öl und Gas fördern und führt die USA erneut aus dem Pariser Klimaabkommen. Düstere Aussichten, oder?
Morgan: Wir müssen das als Hindernis sehen, aber es ist ein überwindbares, für uns bedeutet das keine Kehrtwende. Wir sind jetzt in einer besseren Ausgangslage als beim Austritt während der ersten Amtszeit. Es gibt eine große wirtschaftliche Dynamik für den Ausbau erneuerbarer Energien, viele Länder sehen darin eine Chance. Und gleichzeitig wird immer deutlicher, wie teuer der Klimawandel uns zu stehen kommt, etwa wenn man auf die jüngste Dürre in Brasilien oder die Fluten im Ahrtal schaut.
epd: Befürchten Sie, dass weitere Länder dem Beispiel von Trump folgen und sich aus dem Klimaabkommen zurückziehen?
Morgan: Nein. Die Länder wissen, dass die Energiewende für sie vorteilhaft ist. Sorgen bereitet mir aber, ob wir schnell genug sind. Und sie erleben selbst die Auswirkungen von der Klimakrise. Es ist in ihrem nationalen Interesse, dabei zu sein.
epd: Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. 2024 lagen wir laut Daten vom EU-Klimadienst Copernicus erstmals im Jahresschnitt darüber. Sind wir nicht schon gescheitert?
Morgan: Als ich vor 30 Jahren mit Klimapolitik angefangen habe, hätte ich nie gedacht, dass die Temperaturen schon 2024 so hoch sein werden. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass sich das Ziel auf einen 20-Jahres-Durchschnitt bezieht, nicht auf ein einzelnes Jahr. Natürlich ist schon ein Jahr über 1,5 Grad schlimm – wir müssen jetzt versuchen, dass es dabei bleibt. Gescheitert sind wir noch nicht.
epd: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben das 1,5-Grad-Ziel schon abgeschrieben. Ab wann wäre denn der Punkt erreicht, ab dem man sagen sollte: Mist, wir haben es nicht geschafft?
Morgan: Natürlich erkennen wir an, was die Wissenschaft sagt und nehmen die Warnungen sehr ernst. Aber nochmal: Es geht mir um die Umsetzung des Pariser Abkommens. Das müssen wir beschleunigen. Es gibt so einen Pessimismus beim Klimathema, den teile ich nicht.
epd: Gibt es denn nicht Momente, in denen auch Sie die Zuversicht verlieren?
Morgan: Es gibt Momente, in denen ich tief in mich hineingehen muss, um Hoffnung zu finden. Wenn man die Bilder sieht, was der Klimawandel weltweit bereits anrichtet – das ist schon atemberaubend. Ich bin vielleicht auch ein bisschen stur. Aber ich habe erlebt, was möglich ist, wenn Leute zusammenkommen und handeln, und hatte das Privileg, mit Tausenden engagierten Leuten auf der ganzen Welt zu sprechen und nicht nur auf den Weltklimakonferenzen konkrete Fortschritte zu erreichen. Das gibt mir Kraft.
epd: Die internationale Klimapolitik wurde erst unter der Ampel-Koalition aus dem Bundesumweltministerium ins Auswärtige Amt geholt. Hat sich das bewährt?
Morgan: Ja. Es geht beim Klimawandel nicht nur um die Umwelt. Geopolitik, Energiepolitik, Klimapolitik: Das hängt alles eng zusammen. Schauen Sie beispielsweise, was der Klimawandel in der Arktis für geopolitische Implikationen hat. Deshalb war es richtig, die Federführung für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt zu verankern. Wir brauchen auch in Zukunft eine starke Klimaaußenpolitik. Nicht zuletzt durch das Auftreten von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) haben wir weltweit gezeigt, wie ernst Deutschland das Thema nimmt.
epd: Würden Sie noch einmal bereitstehen als Staatssekretärin für eine weitere Legislaturperiode?
Morgan: Ich arbeite hier jetzt erstmal bis zur letzten Minute meiner Amtszeit. Für die Zeit danach kann ich Ihnen mit Bestimmtheit sagen: Ich werde in der internationalen Klimapolitik zu finden sein, dort, wo ich das Gefühl habe, den größten Unterschied machen zu können – so wie in den vergangenen 30 Jahren auch.
epd: Der Wahlkampf wird derzeit vom Thema Migration dominiert. Kommt ihnen der Klimawandel zu kurz in der öffentlichen Debatte?
Morgan: Ja, der Klimawandel kommt zu kurz. Dabei hat er so viele Folgen für das Leben der Menschen hier. Die höheren Lebensmittelpreise, beispielsweise für einige Produkte wie Olivenöl, hängen auch damit zusammen. Man könnte ebenfalls mehr über die Chancen der Energiewende reden oder wie eine sozial gerechte Klimapolitik aussehen sollte. Ein so wichtiges Thema wie der Klimawandel sollte mehr Aufmerksamkeit bekommen.
epd: Warum ist das nicht der Fall?
Morgan: Viele Menschen treiben andere Sorgen um, etwa der russische Angriffskrieg in der Ukraine oder die Inflation. Umfragen aber zeigen, dass es trotz allem noch viel Rückhalt für mehr Klimaschutz gibt. Das Thema beschäftigt die Leute, auch wenn es nicht mehr so in den Schlagzeilen ist.
epd: Wir haben eingangs über Erfolge der vergangenen drei Jahre gesprochen. Mit welchen Vorhaben sind Sie gescheitert?
Morgan: Ich hatte gehofft, dass die Emissionen ihren Höhepunkt erreichen. Das hat nicht geklappt.
epd: Und in Deutschland?