Der lange erwartete und sehr spannende bisher letzte James Bond-Film, der Verknüpfungen zur Vergangenheit herstellt, aber auch Angebote für die Zukunft macht. Der wohl radikalste Bond – zwischen Abschied und Neubeginn.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Nach “Spectre” (2015) sollte Daniel Craigs Interpretation des britischen Geheimagenten James Bond eigentlich nahtlos in seinen erklärten Abschied von der Rolle in einem letzten Film übergehen. “Keine Zeit zu sterben” von 2020 benötigte aber bis zum Start weitaus mehr Zeit als vorgesehen – erst durch den Regie-Wechsel von Danny Boyle zu Cary Joji Fukunaga, dann durch die Corona-Kinoschließungen 2020 und 2021 (die wiederum einige Nachdrehs erforderten).
Schlussendlich hat sich das Warten aber gelohnt, denn “Keine Zeit zu sterben” ist ein mehr als würdiger Abschluss für Craigs über fünf Filme schlüssig ausgebreitete Version des Helden als ruppiger, grundsätzlich einsamer Kämpfer, der weit vom prägenden Bond-Bild eines Sean Connery entfernt war und sich gerade deshalb als überzeugender Bond für das 21. Jahrhundert präsentiert hatte.
Der Anfang zeigt Bond mit der Psychologin Madeleine Swann (Lea Seydoux) am Grab seiner getöteten Geliebten Vesper Lynd, wo beide knapp ein Attentat überleben. Trotzdem kommt es zum Bruch, Bond zieht sich in den Ruhestand zurück. Bis fünf Jahre später ein Labor des britischen Geheimdienstes MI6 überfallen wird, in dem an Viren geforscht wird, die durch die DNA gesteuert werden und das Leben von Millionen Menschen gefährden. Schon eine Berührung reicht aus, um andere tödlich anzustecken. Bonds Erzfeind Blofeld (Christoph Waltz) scheint seine Finger im Spiel zu haben, doch der sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Der spannende Agententhriller kreist um Themen wie Misstrauen und wechselnde Koalitionen und stellt Verknüpfungen zur Vergangenheit der Serie her, macht aber auch Angebote für ihre Zukunft. Die Action ist dabei weniger turbulent und gewalttätig, während Verfolgungsjagden, die Gadgets von Q und das Set-Design auf bewährte 007-Versatzstücke zurückgreifen.
James Bond hat die Lizenz zum Töten zurückgegeben. Zusammen mit Madeleine Swann (Lea Seydoux) lebt er zurückgezogen und genießt das Leben. “Wir haben alle Zeit der Welt” sagt er, als sie ihn bei einer Spazierfahrt bittet, doch ein wenig schneller zu fahren. Beim Urlaub in Italien besucht Bond auch das Grab von Vesper Lynd, die er 2006 kennen gelernt hatte. Doch plötzlich eine Explosion, Bond entkommt seinen Häschern nur knapp. Hat Madeleine ihn etwa verraten? Es kommt zum Bruch, und der Abschied der beiden gehört zu den traurigsten Momenten des Films.
Fünf Jahre später. Bond lebt inzwischen auf Jamaika. Er versucht das Leben zu genießen, auch wenn die Erinnerungen schmerzen. Da wird er gleich von zwei Seiten kontaktiert: einmal von seinem alten Freund, dem CIA-Agenten Felix Leiter, dann von Nomi, seiner schwarzen Nachfolgerin beim britischen Geheimdienst. Dass sie jetzt die Nummer 007 trägt, deutet schon darauf hin, dass die Bond-Welt gehörig durcheinander geraten ist. “It’s just a number”, sagt jemand – ist doch nur eine Nummer. Doch das ist kein Trost.
Wie dem auch sei: In ein Labor des MI6 ist eingebrochen worden, ein Wissenschaftler wurde entführt. Es geht um das “Herakles-Projekt”: Viren werden dabei durch die DNA so gesteuert, dass sie nur bestimmte Menschen treffen. Der Mensch selbst wird zur Waffe: Schon eine Berührung reicht aus, um andere tödlich anzustecken. Hat etwa Oberganove Blofeld seine Finger im Spiel? Doch der sitzt seit “Spectre” eigentlich im Hochsicherheitsgefängnis.
“Keine Zeit zu sterben” von 2020 ist zunächst ein Film des ersehnten Wiedersehens: Sechs Jahre waren seit “Spectre” vergangen, die Dreharbeiten zogen sich hin, durch Corona lag der Thriller geschlagene 18 Monate auf Eis. Sogar der Verkauf an einen Streaming-Dienst wurde diskutiert, doch dann startete “No time to die” (Oscar 2022 für den besten Filmsong an Billie Eilish) doch noch im September 2021 in den Kinos.
“Keine Zeit zu sterben” ist aber auch ein Film des Abschieds. Daniel Craig wird die Rolle der Doppelnull nicht noch einmal übernehmen, vielleicht passt auch die Figur des hedonistischen, überlegenen Mannes nicht mehr in unsere Zeit. Regisseur Cary Joji Fukunaga blickt darum oft zurück und stellt Verknüpfungen zur Vergangenheit her: zu Vesper Lynd in “Casino Royale”, zu “Spectre” und Blofeld (Christoph Waltz in einem beängstigenden Kurzauftritt), einmal ist in einer Ahnengalerie auch Judi Dench als M zu erkennen.
Auf niemanden ist mehr Verlass. Die Umstrukturierung des britischen Geheimdienstes deutete sich bereits in “Spectre” an, aktuelle Probleme der Überwachung finden sich auch hier wieder, etwa, wenn Blofeld künstliche Augäpfel als Rundumkameras für seine Intrigen nutzt oder Q am Bildschirm Bond durch die Schurkenfestung auf einer kleinen Insel dirigiert.
Die Action ist, abgesehen vom schießfreudigen Finale, nicht mehr so turbulent und gewalttätig, das Fantastische und Exotische früherer Bondfilme scheint Fukunaga nicht mehr so wichtig zu sein. Die Motorradverfolgung durch eine italienische Altstadt endet abrupt, ebenso eine Autojagd durch die Wildnis. Eine angenehmes Understatement geht von diesen Szenen aus, die nicht mehr nur auf Attraktionen setzen.
Fukunaga wartet aber auch mit alten 007-Versatzstücken auf, vom Aston Martin mit Maschinengewehren anstelle der Scheinwerfer bis zur Armbanduhr mit Wumms. Beeindruckend auch die Festung des Bösewichts, den diesmal Rami Malek spielt, der 2019 für seine Rolle als Queen-Sänger Freddie Mercury den Oscar gewann.
So ein Abschied bedeutet auch immer einen Neuanfang. Ana de Armas hilft James Bond auf Kuba als tatkräftige Nachwuchsagentin und lässt sich dabei auch nicht durch ihr tief ausgeschnittenes, rückenfreies Abendkleid behindern – ein kurzer, starker und amüsanter Auftritt.