In UK 24 berichteten wir unter der Überschrift „,Zutiefst israelfeindliches Machwerk‘“ über die Kritik des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit an dem Buch „Religionen für Gerechtigkeit in Palästina-Israel: Jenseits von Luthers Feindbildern“ (hrsg. von Ulrich Duchrow und Hans G. Ulrich, LIT-Verlag 2017). Dazu erreichten uns bereits zwei Reaktionen aus der Leserschaft (UK 26, Seite 14). Eine Stellungnahme des Kairos Palästina-Solidaritätsnetzes Deutschland dokumentieren wir an dieser Stelle im Wortlaut:
„Die Angriffe des Koordinierungsrates richten sich gegen eine Publikation, die Beiträge einer wissenschaftlichen Tagung, 2017 in Wittenberg, dokumentiert. Die Konferenz gehörte im Kontext des Reformationsjubiläums zu dem ökumenischen Projekt „Die Reformation radikalisieren“. Der hier in Rede stehende Band 7 ist der letzte in einer Reihe von Dokumentationen der Ergebnisse des Projektes.
Einer der Themenschwerpunkte der Wittenberger Konferenz war den bedrückenden juden- und türkenfeindlichen Äußerungen des Reformators gewidmet und vor allem deren fataler Wirkungsgeschichte bis in das 20. Jahrhundert. Im Resümee der Tagung wurde u.a. eine kirchenoffizielle Distanzierung von diesen, antisemitische Haltungen stimulierenden, Aussagen Luthers gefordert.
Die Presseerklärung des Koordinierungsrates nimmt vornehmlich Bezug auf die Beiträge zweier jüdischer Tagungsteilnehmer aus den USA, Marc Ellis und Mark Braverman. Beide gehören zu denen, die die Politik der gegenwärtigen israelischen Regierung einerseits für eine Bedrohung des eigenen Volkes halten, und andererseits für krasses Unrecht an der unter militärischer Besetzung lebenden palästinensischen Bevölkerung. Sie sind damit profilierte Vertreter einer innerjüdischen Kontroverse, wie sie in den USA besonders lebhaft ausgetragen wird.
Empörung löst im Koordinierungsrat die Kritik am christlich-jüdischen Dialog aus, die von beiden Autoren damit begründet wird, dass die Palästinenser als die an der Entstehung jüdischer Staatlichkeit unmittelbar Beteiligten und existenziell davon Betroffenen darin nicht vorkommen. Zugleich weisen sie darauf hin, dass in Konsequenz dieser Ausblendung der nationalistischen Politik israelischer Regierungen stillschweigend oder explizit der Anschein uneingeschränkter Legitimität zuerkannt wurde. Da wesentliche Komponenten dieser Politik Israels in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart für europäische und insbesondere auch deutsche politische Zielsetzungen vorteilhaft und nützlich waren und sind, sprechen sie in diesem Zusammenhang von einem „deal“ auf der Basis einer fragwürdigen Interessenkoinzidenz. Die Schlussfolgerung ist, dass ein christlich-jüdischer Dialog an der Sache vorbeigeht, sofern die Palästinenser generell keinen Platz darin haben. In den Kirchen wird das inzwischen an vielen Stellen ähnlich gesehen, und es gibt Bemühungen um eine veränderte Praxis.
Der unersetzliche Verlust, den die Shoa für die Völker und Kulturen Europas bedeutet, wird durch die asiatische Staatsgründung Israels nicht geheilt. Er bleibt auch für uns im Westen eine endgültige Tragik. Der Koordinierungsrat beanstandet, dass Charles Amjad Ali in seinem Beitrag in diesem Zusammenhang von einer tragischen Verkehrung des Begriffs der „Endlösung“ spricht. Der Rat hat die Bitterkeit nicht zur Kenntnis genommen, mit der das geschieht.
Seine weit ausholende radikale Kritik unserer Wirtschaftsweise hat Ulrich Duchrow, der als Herausgeber einen eigenen Beitrag für das Buch lieferte, in vielen Veröffentlichungen ausgeführt. Er ist als streitbarer Partner in den entsprechenden kirchlichen Kontroversen bekannt und zugleich für seine Dialogbereitschaft und seine Loyalität gegenüber den Strukturen kirchlicher Meinungsbildung geschätzt. Sein Bemühen, israelische Politik nicht isoliert vom internationalen ökonomischen Kontext zu beurteilen, sondern die prominente Rolle des Staates innerhalb des Gefüges des Weltmarktes und der Weltpolitik zu analysieren, muss als Beitrag dazu verstanden werden, an dieser Stelle die gleichen Maßstäbe anzuwenden wie hinsichtlich aller Protagonisten einer Ökonomie, die nach dem unerbittlichen Urteil von Papst Franziskus tödlich ist. Duchrow hat oft genug mit gleicher Konsequenz den Kapitalismus im eigenen Land beim Namen genannt und infrage gestellt.
Keine*r der Autor*innen stellt die Staatlichkeit Israels infrage, wohl aber aus theologischen Erwägungen ihre religiöse Begründung. Das ist im kirchlichen Diskurs aktuell keine ungewöhnliche Haltung. Keine*r derAutor*innen stellt auch den christlich-jüdischen Dialog grundsätzlich in Frage. Marc Ellis nennt ihn „notwendig und revolutionär“, und er fügt hinzu: „Hätte es jemals einen so kühnen Versuch gegeben, das machtpolitische und theologische Ungleichgewicht zwischen Juden und Christen zu korrigieren? Und es gelang auch trotz großer geschichtsbedingter Widerstände.“ (S.131) Besonders Ellis und Braverman gehen allerdings mit bestimmten Aspekten und Folgen dieses Dialoges sehr hart ins Gericht. Denjenigen, denen dieser Dialog am Herzen liegt, sollte solche Kritik aus jüdischem Mund zu denken geben.
Sorge bereitet dem Koordinierungsrat, dass etliche der Autoren aus ihrer Zustimmung zu der palästinensischen BDS-Initiative keinen Hehl machen. Ihr Urteil fällt differenziert aus. Die Herausgeber sehen darin offensichtlich eine im Sinne der Meinungsfreiheit legitime Stellungnahme. Einer so breiten zivilgesellschaftlichen Initiative sollte man, so man das für nötig hält, Widerstand entgegensetzen. Ihre Tabuisierung schadet allen.
Die Konzentration der Presseerklärung auf einzelne möglicherweise in solcher Isolation missverständliche Begriffe und Satzteile trägt Kampagnencharakter. Es ist der Versuch, den Beitrag, den das Studienprojekt im Rahmen einer gegenwartsbezogenen Rezeption der reformatorischen Tradition leisten wollte, zu diskreditieren. Das Kairos Palästina-Solidaritätsnetz Deutschland hat sich intensiv mit den Beiträgen des Buches befasst und einige der Aufsätze in einer gemeindenahen Sprache zusammengefasst. Die Broschüre soll demnächst in der Geschäftsstelle von Kairos Europa abrufbar sein.
1. Juni 2018, Kairos Palästina-Solidaritätsnetz Deutschland, gez. Gesine Janssen, Koordinatorin, gez. Giselher Hickel, theologische AG des Netzes“