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Johanna Haberer: Durch das Ohr die Seele berühren

Johanna Haberer ist Pfarrerin, Autorin und Medienwissenschaftlerin. Viele Jahre war sie Rundfunkbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und erzählt von ihrer Arbeit.

Das Hörspiel "Omas Superkräfte" läuft zu Weihnachten im NDR-Hörfunk
Das Hörspiel "Omas Superkräfte" läuft zu Weihnachten im NDR-HörfunkUnsplash / Jonathan Farber

Frau Haberer, Sie haben viele Medien bespielt, waren Chef­redakteurin des Bayerischen Sonntagsblatts, im Fernsehen haben Sie das Wort zum Sonntag gesendet, deutschlandweit sind Sie auch heute noch im Radio zu hören. Wobei haben Sie sich am wohlsten gefühlt?
Johanna Haberer: Ich habe mich auf jeder Station wohlgefühlt, weil ich einfach das Glück hatte, die rasante Medienentwicklung der vergangenen 40 Jahre live und in Farbe an vorderster Front mitzuerleben.

Angefangen haben Sie in der Gemeinde, den Auftritten als Pfarrerin auf der Kanzel folgten Ansprachen, Zusprüche, Andachten im Radio. Was mögen Sie am Radio?
Die menschliche Stimme. Der Mensch lässt sich berühren durch das Ohr und täuschen durch die Augen – das ist eine mittelalterliche Weisheit. Man hört, wenn jemand lügt. In Martin Luthers Vorstellung lag die Seele am Ende eines großen spirituellen Hörrohrs.

Sie haben die Evangelische Funkagentur in München, kurz efa, aufgebaut. Was war oder ist deren Aufgabe?
Mit der Wahl von Helmut Kohl 1983 und der geistig-moralischen Wende entstand der Privatfunk. Für diese Sender brauchte es Programm aus dem Bereich Kirche und Religion. So entstand efa. Heute beliefert die Agentur den Radiosender „Antenne Bayern“ sowie rund 67 Lokalsender. Es gibt Informationen zu sozialen, kulturellen und ökologischen Themen im Bereich Kirche und Gesellschaft, Nachrichten und Features zu aktuellen Ereignissen, Hörfunk-Andachten sowie Interviews mit Experten und Prominenten. Damit erreicht efa jede Woche rund eine Million Hörerinnen und Hörer.

Mehr als 20 Jahre waren Sie Professorin für Christliche Publizistik an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Was ist das für ein Studiengang, diese christliche Publizistik? Oder besser: Warum gibt es ihn?
Bernhard Klaus, ein praktischer Theologe, gründete 1966 die erste Universitätsabteilung für Christliche Publizistik. Aufgabe sollte sein, die Wesensgesetze der technischen Medien zu analysieren und die Möglichkeiten zu überprüfen, die sie für Predigt, Unterricht und Seelsorge boten. Die Botschaft der Kirche sollte in neuen Formen auch Menschen erreichen, die nicht mehr den Gottesdienst besuchen, für kirchliche Hörfunk- und Fernsehsendungen jedoch ansprechbar sind.

Wer war Bernhard Klaus?
Er kam aus Berlin und hatte bei August Hermann Hinderer, einem evangelischen Theologen und Honorarprofessor für Publizistik, studiert. Als Direktor des „Evangelischen Preßverbandes“ für Deutschland (EPD) in Berlin-Steglitz hatte Hinderer aus der „Evangelischen Correspondenz für Deutschland“ die Nachrichtenagentur Evangelischer Pressedienst (epd) geformt. Er entwickelte ein neues Konzept evangelischer Öffentlichkeits­arbeit, das den damals neuen Medien Rechnung trug. Alles, was wir heute an christlicher Publizistik haben, hat Hinderer schon gedacht.

Johanna Haberer ist Pfarrerin und war mehrere Jahre Rundfunkbeauftragte
Johanna Haberer ist Pfarrerin und war mehrere Jahre Rundfunkbeauftragteepd-bild / mck

Und warum gründete sich das Fach 1966?
Die neuen Medien, also damals das Radio und vor allem das Fernsehen, verbreiteten sich rasant. Kirchen hatten Sendezeiten, aber die sollten professionell und gut gestaltet werden. Wir brauchten Theologen – Frauen gab es noch wenige in dem Amt –, die sich mit Medien auskennen. Sie mussten ja auch Gemeindebriefe schreiben, auch mal anlässlich eines Feier­tages für die Tageszeitung schreiben. Sie mussten verstehen, was eine säkulare Öffentlichkeit ist – im Unterschied zu den Menschen, die am Sonntag zu ihnen in die Kirche kommen. Sie mussten anders sprechen, wenn sie Worte des Glaubens in die Welt sendeten.

Was sind heute die Inhalte dieser Ausbildung?
Theologinnen und Theologen nutzen es immer noch als Schreibwerkstatt oder auch, um zu lernen, wie ihre Andachten im Radio gut rüberkommen. Zusätzlich gibt es den Master-Studiengang Medien, Ethik, Religion. Er richtet sich an Leute, die ein geisteswissenschaftliches Studium mit Bachelorabschluss hinter sich haben, und die einen breiten Überblick bekommen möchten über journalistisches Arbeiten unter ethischen Fragestellungen. In der digitalen Gesellschaft tauchen sie vermehrt auf.

Ist das nur für Protestanten gedacht?
Nein, der Studiengang ist offen für alle. Das Thema Religion setzt einen hohen Grad an Bildung voraus, wenn das Reden darüber nicht nur aus Vorurteilen bestehen soll. Ich habe diesen Studiengang gegründet, um die Stärke der Religion auch zum Friedenstiften herauszuarbeiten.

Sie haben ein Buch geschrieben, „Digitale Theologie“ heißt es. Es dreht sich um Gott und die Medien. Sie schreiben von einer Medien­revolution vergleichbar der Reformationszeit. Wie meinen Sie das?
In der Reformation zur Zeit Luthers war der theologische Gedanke, dass jeder Mensch einen Zugang zu Gott hat und dieser nicht über die Kirche vermittelt werden muss. Dieses demokratisierende Element erleben wir jetzt auch bei der Digitalisierung. Jede und jeder hat eine Stimme, kann sich beteiligen, mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Google und Facebook vergleichen Sie mit der katholischen Kirche der Vorreformation. Wieso das?
Die Programmierer zum Beispiel von Chat GPT sind Menschen, die eine Kunst beherrschen, die andere nicht durchschauen. Das ist vergleichbar mit dem Priester im Mittelalter, der mit dem Rücken zur Gemeinde stand und lateinisch murmelte. Er hat sie begleitet von der Wiege bis zur Bahre und darüber hinaus. Die Programmierer sind die Priester der heutigen Zeit. Wir verstehen ihre Sprache nicht, aber sie navigieren unser Leben, sie sammeln unsere Daten, sie wissen, wo wir sind, was wir denken, was wir demnächst tun werden.

Und was können wir dagegen tun?
Unsere Aufgabe ist es, als Bürger in einer Demokratie darauf hinzuwirken, dass wir die Mechanismen dieser neuen Plattformen kennenlernen. Da setze ich auch auf den Qualitätsjournalismus. Wir brauchen Menschen, die uns durch die Nachrichtenwelt steuern. Wir müssen Grenzen setzen, uns schlauer machen, diese Priester enttarnen. So wie es in der Reformation bei Martin Luther hieß: Jetzt sprichst du Deutsch, denn ich möchte wissen, was in deiner Predigt steht.