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Jesus zwischen Schwarz und Weiß

Die Theologin Sarah Vecera hat ein Buch über ihren Traum von einer Kirche ohne Rassimus geschrieben

Sarah Vecera ist stellvertretende Abteilungsleiterin bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Als Frau of Color, wie sie selbst sich nennt, hat sie schon früh eine Sensibiltät dafür entwickelt, was es heißt, in der deutschen Gesellschaft „anders“ zu sein – auch in der Kirche. Mit Anke von Legat spricht sie über die Symbolik von Schwarz und Weiß, den Einfluss von Kinderbibeln und über Schwarze Menschen im Talar.

 

Frau Vecera, wie wurde Jesus weiß?
Der Buchtitel ist eigentlich ein bisschen irreführend. Ich wollte ein Buch schreiben über meinen Traum von einer Kirche ohne Rassismus, und ein Kapitel darin hieß: Wie ist Jesus weiß und Christ geworden? Diese Formulierung hat bei einer Pressekonferenz so viel Interesse geweckt, dass der Verlag vorgeschlagen hat, sie zum Titel des ganzen Buches zu machen.

Was steckt denn hinter der Frage nach dem weißen Jesus?
Jesus war natürlich nicht weiß, und er war auch nicht Christ, sondern Jude. Aber im frühen Mittelalter setzte eine Entwicklung ein, bei der Jesus mit den römischen Kaisern und Philosophen gleichgesetzt wurde, und die hatten europäische Gesichtszüge. Seitdem wird Jesus auf Abbildungen als weißer Mitteleuropäer dargestellt und machte damit eine absichtsvolle „koloniale Karriere“. Das zieht sich durch die Geschichte, durch Aufklärung, Kolonialismus bis hin zum Nationalsozialismus, der behauptete, Jesus sei Arier.

Welchen Einfluss hatte diese Darstellung Ihrer Ansicht nach auf außereuropäische Völker, denen von weißen Missionaren ein weißer Christus verkündigt wurde?
Christus war weiß, wie die Missionare und die kolonialen Besatzerinnen und Besatzer. Damit waren die „weißen“ Europäerinnen und Europäer besser als die Schwarzen Menschen in den besetzten Ländern. Das nimmt übrigens eine Farbsymbolik auf, die sich schon in der  Bibel findet: Weiß ist rein, heilig, göttlich; Schwarz ist böse.

Haben das Christentum und die Kirche damit zu rassistischen Vorstellungen beigetragen?
Ja, auf jeden Fall. Die Kirche war eine wichtige Mitspielerin beim Entstehen des Rassismus, im Zusammenspiel unter anderem mit Philosophen der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Da stellte sich nämlich die Frage, warum die allgemein menschlichen Werte eigentlich für Menschen of Color in den Kolonien nicht gelten sollten, die man ausbeutete, misshandelte und tötete. Das funktionierte nur, indem man „Weiße“ als die wahren Menschen bezeichnete und „Schwarze“ als weniger wert, sonst hätte man diesen Widerspruch gar nicht ausgehalten.

Hat die Kirche denn diese Phase aufgearbeitet und hinter sich gelassen?
Nein, diese Geschichte haben wir in der Kirche nicht aufgearbeitet. Vielmehr herrscht die Vorstellung, dass jede Form von Rassismus 1945 vorbei war und wir in der Kirche sowieso niemanden diskriminieren. Aber so ist es nicht. Rassismus ist da, er ist nur verdeckt. Wir müssen ihn suchen wie Asbest in den Wänden.

Sie weisen darauf hin, dass es in den Gemeinden unserer Landeskirchen so gut wie keine Menschen of Color gibt. Woran liegt das?
Ein Grund dafür ist, dass wir uns in unseren Gemeinden auf der Seite der Guten sehen und glauben, dass bei uns alle willkommen sind. Aber überlegen Sie mal: Wer steht in der Kirche auf der Kanzel und wer putzt im Gemeindehaus das Klo?  Da müssen wir ehrlicher werden und uns fragen, wo bei uns in der Kirche rassistische Muster wirken. Warum ist kaum noch jemand von denen, die 2015 zu uns geflohen sind und in unsere Gemeinden kamen, heute noch dabei? Wo sind die Menschen of Color in unseren Leitungsgremien?
Es gibt ja auch so gut wie keine Vorbilder für sie in unseren Gemeinden. Als ich zum Beispiel mit 30 Jahren zur Prädikantin ordiniert wurde, war ich selbst die erste Frau of Color in einem Talar, die ich in einer deutschen Gemeinde je gesehen habe. Darum trage ich den Talar auch, wann immer sich die Gelegenheit bietet, um anderen Menschen of Color zu zeigen: So was gibt es, und das kannst du auch.

Sie selbst beschreiben in dem Buch, dass Sie in Ihrer Kindheit Muster erlebt haben, die Sie zunächst gar nicht als rassistisch eingeordnet haben.
Das stimmt. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass Menschen of Color immer als „die Anderen“ dargestellt wurden: Fremde, Hilfsbedürftige, Kriminelle –
aber es war niemand dabei, mit der ich mich hätte identifizieren können. Die Vorbilder in den Kinderbüchern waren dagegen weiß, natürlich auch in den Kinderbibeln. Sowas prägt ein Kind, denn die nehmen die Welt sehr früh schon in Bildern wahr. Und wenn ich an das Kindergottesdienstlied „Schwarze, Weiße, Rote, Gelbe, Gott hat sie alle lieb“ denke, dann frage ich mich: Wo kommen diese Farben her? Ganz klar aus den längst widerlegten Rassenideologien der Aufklärung. Und wieso müssen wir immer noch unseren Kindern diese Ideologien dadurch so subtil weitergeben?

Was müssen wir in der Kirche besser machen, um Rassismus zu vermeiden und unsere Gemeinden für Menschen of Color einladener zu machen?
Ich treffe auf ganz viele Menschen, die es gut meinen, aber ihre eigenen rassistischen Muster nicht erkennen. Das ist nicht ihre Schuld – sie haben es eben so gelernt, dass man als Frau die Handtasche festhält und die Straßenseite wechselt, wenn ein Mann of Color auftaucht. Selbst ich kenne solche Reflexe; ich bin ja in denselben Strukturen aufgewachsen wie alle anderen Deutschen. Rassismus ist eben vor allem ein strukturelles Problem. Um da etwas zu verändern, müssen wir in der Kirche mit Menschen of Color ins Gespräch kommen und ihre Erfahrungen ernst nehmen, statt gleich mit Abwehr zu reagieren. Das möchte ich auch mit meinem Buch erreichen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Ich habe neulich von einem Fall gehört, bei dem ein ehrenamtlicher Mitarbeiter auf einer Jugendfreizeit das N-Wort ausgesprochen hat. Ein Jugendlicher of Color fühlte sich dadurch gekränkt. Als die Mutter sich bei dem Pfarrer beschwerte, nahm der den Mitarbeiter in Schutz, statt nach den Gefühlen des Jugendlichen zu fragen. Das ist so, als würde man sich nach einem Unfall zuerst um den Unfallverursacher kümmern statt sich um das Opfer. An solchen Stellen müssen wir umdenken.

Sie klären seit etwa zwei Jahren in Gemeinden über das Thema Rassismus in der Kirche auf. Welche Erfahrungen machen Sie?
Ich sehe im Gespräch miteinander eine Riesenchance, dass sich etwas verändert – sonst wäre ich ja schon in Depressionen versunken. Vor Kurzem habe ich in einem Vortrag erklärt, dass das M-Wort, das ja auch in der Bibel vorkommt, die älteste deutsche rassistische Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen ist. Danach kam ein über 90-jähriger Mann zu mir und sagte: „Für mich war der Mohr ja nie ein Problem, aber jetzt habe ich verstanden, warum es eins ist.“ Der hat mir zugehört und wollte etwas lernen. Das ist großartig!
Mir geht es überhaupt nicht um Schuldzuweisungen oder Scham, sondern um konstruktive Kritik und Verantwortungsübernahme. Als Christinnen und Christen wissen wir doch, dass wir alle Fehler machen und alle von der Gnade Gottes abhängig sind. Die Bibel erzählt ja davon, dass Gott keine perfekten Menschen will, sondern an der Seite der Fehlerhaften und Ausgegrenzten steht. Und bei Paulus kann man nachlesen, dass sich in der Kirche immer schon ganz verschiedene Menschen und Kulturen getroffen haben. Das ist eine super Grundlage, da müssen wir ran. Dann kann auch mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus wahr werden.

 

• Sarah Vecera: Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus. Patmos Verlag, 200 Seiten, 19 Euro. ISBN: 978-3-843-61352-1.