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Israelsonntag: Verantwortung gegenüber dem Judentum

Antijüdische Überbleibsel in der Kirche präsentiert Teja Begrich im kunsthistorischen Rahmen. Bedenklich findet er jedoch, wie sehr Kirche und Antijudaismus in vielen Köpfen noch heute zusammengehören.

Die Stadtkirchengemeinde Wittenberg entwickelte die „Stätte der Mahnung" zur mittelalterlichen Schmähplastik „Judensau“ an der Stadtkirche St. Marien
Die Stadtkirchengemeinde Wittenberg entwickelte die „Stätte der Mahnung" zur mittelalterlichen Schmähplastik „Judensau“ an der Stadtkirche St. Marienepd-bild /Jens Schlueter

„Haben Sie auch eine Judensau?“ Enttäuscht wenden sich die Besucher ab, als ich verneine. „Nein, eine Judensau haben wir im Havelberger Dom nicht, dafür müssen Sie nach Brandenburg. Aber wir haben ­andere Antijudaismen.“ Und schon präsentiere ich Judenhüte und schweinsköpfige Grimassen auf mittelalterlichen Fenstern oder ­antijüdische biblische Darstellungen am 623 Jahre alten Lettner.

Antijudaismus ist in! Kunsthistorisch natürlich nur. Die Debatte um die Judensau, die in Wittenberg von Bischof Kramer trefflich Luthersau genannt wird, erzeugt so viel ­mediale Aufmerksamkeit, dass eine fehlende Schmähplastik an anderen Kirchen für Enttäuschung bei Besuchern sorgt.

Kirche und Antijudaismus

Das haben wir als Kirche, ganz ohne jede Kampagne, irgendwie gesellschaftlich hinbekommen, dass Kirche und Antijudaismus zusammengehören. Jedenfalls kommen wir mit antijüdischen Darstellungen gut ins Gespräch und in die ­Öffentlichkeit. Die Documenta hat das ja im letzten Jahr auch bewiesen. Und gerade streiten sich Sachsen-Anhalt und Thüringen darüber, wer aufgrund der größeren anti­semischen Traditionen geeignet sei für ein neu zu gründendes Deutsch-Israelisches Jugendwerk.

Bisher gab es mit ConAct in ­Wittenberg, der Lutherstadt, das einzige Koordinierungszentrum Deutschlands für deutsch-israelischen Schüleraustausch. Das neue Werk sollte dort angesiedelt werden. Da wacht Thüringen auf und bringt Weimar in Position. Als Ort früherer Verbrechen eigne sich Weimar nun gerade im Besonderen für Völkerverständigung, heißt es aus der Thüringer Staatskanzlei. Was ist hier los? Wetteifert ­Luthers Antijudaismus gegen den Antisemitismus der Nazis mit dem Vernichtungslager in Buchenwald? Ist Antisemitismus auch in? Natürlich, was die Anzahl der antisemitischen Übergriffe angeht, und natürlich nicht, was die allgemeine Ächtung dieser angeht.

Und dann kommt das Kirchenjahr mit dem 10. Sonntag nach ­Trinitatis. Der Israelsonntag. Der Sonntag im Kirchenjahr, an dem die bleibende Verbindung von Christen und Juden ins Zentrum gestellt wird. Diese bleibende Verbindung finden wir an unseren Kirchen in Stein gemeißelt für die Ewigkeit, doch meistens nicht sehr freundlich. Einmal wenigstens soll aber in allen Kirchen darüber nachgedacht werden: Was bedeutet es, dass Jesus Jude ist? Und warum ist Jesus auf den mittelalterlichen Darstellungen nie mit Judenhut zu sehen? Offensichtlich hat sich die Kirche ihres jüdischen Gründers geschämt.

Nutzen wir diese Sonntage

Einmal im Jahr wenigstens soll der Judenhut auch auf Jesu Kopf ge­langen und damit auch in unsere Köpfe. Unsere Kirchenbauten predigen so viel Antijüdisches, dass wir ­davon nie loskommen und unsere Köpfe auch nicht. Ein jüngstes Beispiel war die Verwendung des Alten Testaments als Negativfolie gegen –über dem Neuen bei der Abschlusspredigt des Kirchentages. Jesu Ansage, dass „jetzt die Zeit ist“, soll auf dem Rücken des Alten Testaments, „dass alles seine Zeit hat“, umso drängender wirken.

Sonntage wie diese, an denen ­Jesus ein Judenhut aufgesetzt wird, sind bitter nötig. Für uns. Für uns Christen. Wir gedenken an diesem Sonntag der bleibenden Verbindung zwischen Christen und Juden jedoch nicht wegen der Vergangenheit, nicht wegen all der Skulpturen, der Ausfälle Martin Luthers oder der Nationalsozialisten, sondern wegen der Gegenwart. Wir machen das für uns und unser Leben mit all diesen alten Symbolen. Darum: Nutzen wir sie einfach. Setzen wir Jesus einen Judenhut auf und nie wieder ab! Jesus ist Jude. Und wir Christen können ohne Judentum nicht sein.

Teja Begrich ist Pfarrer am Dom zu Havelberg.

Veranstaltungen am Israelsonntag
Am Samstag, 12. August – Vorabend des Israelsonntags – ist um 19.30 Uhr der Dokumentarfilm „Shoah“ von Claude Lanzmann in der St. Matthäus-Kirche, Matthäikirchplatz, zu sehen.
Am Sonntag, 13. August, ist ­Bischof Christian Stäblein um 18 Uhr dort zu Gast im hORA-Gottesdienst zum
Israelsonntag. Wie predigen nach dem Holocaust – dieser Frage widmet sich der Bischof in seiner Predigt neu mit Blick auf die aktuelle Ausstellung „Am Abgrund der Bilder“.
Bereits um 10 Uhr findet am 13. August in der Auengemeinde Wilmersdorf ein Gottesdienst statt. Mit Bischof Stäblein, Esther Hirsch, Theologische Referentin im House of One und Kantorin in der Synagoge Sukkat Schalom, Theresa Dittmann, Pfarrerin im Institut Kirche und Judentum, und Kristina Westerhoff, Pfarrerin der Auengemeinde.