Die Polizei in Köln fühlt sich als einer. Die Muslime in Deutschland fürchten, im Zuge der ständigen Flüchtlingsdebatten einer zu werden. Und US-Präsident Barack Obama warnt in seiner letzten Rede zur Lage der Nation davor, Mitbürger anderer Herkunft oder anderen Glaubens dazu zu machen. Der Sündenbock ist in diesen Tagen in aller Munde – wieder einmal.
Dabei zeigt ein Blick in die lange Laufbahn des Tieres: Ursprünglich war der Sündenbock zumindest dem Namen nach frei von Sünde. Und erst, als er Menschengestalt annahm, fingen die eigentlichen Probleme an.
Der Galopp durch die Geschichte beginnt in der Bibel, im Alten Testament. Da nimmt Gott Moses beiseite und erklärt ihm, wie sein Volk sich künftig von den eigenen Fehltritten befreien kann. Aaron, der Bruder des Mose, soll dabei der erste Zeremonienmeister sein. In den weiteren Hauptrollen: zwei Böcke. Über sie wird das Los geworfen: Einer wird geschlachtet und dem Herrn geopfert. Der andere wird, mit den Sünden des Volkes beschwert, zu Asasel in die Wüste gejagt.
Das Los entscheidet über das Schicksal
Die Figur des Asasel, der im gesamten Alten Testament nur an dieser Stelle erwähnt wird, bleibt dabei geheimnisvoll. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich um einen mythologischen Wüstendämon handelt. In der Geschichte vom Sündenbock bekommt er eine besondere Funktion: Er ist das, was Gott nicht ist: unrein und unheilig, und die Wüste, die sein Wohnort ist, ist die von Gottes Heiligtum getrennte Welt.
Was mit dem Sündenbock passiert, wenn er bei Asasel ankommt, wird nicht geschildert. Es reicht, dass er die Sünden mit sich wegnimmt aus dem Lebensbereich der Menschen, die Gottes Volk sind.
Dazu, so heißt es weiter, müsse Aaron „seine beiden Hände auf den Kopf des lebenden Bockes legen und über ihm bekennen alle Missetat der Israeliten und alle ihre Übertretungen, mit denen sie sich versündigt haben“. Die weitere Anweisung Gottes an die Israeliten lautet, das unglückliche Tier in die Wüste zu jagen, „dass also der Bock alle ihre Missetat auf sich nehme und in die Wildnis trage“.
Das jahrtausendealte Ritual war lange Zeit ein zentraler Bestandteil des jüdischen Versöhnungstages Jom Kippur. Der Vorgang des Fortschickens hat sich bis heute in den Wörtern „scapegoat“ („Fluchtbock“) und „bouc emissaire“ („ausgeschickter Bock“) erhalten, der englischen beziehungsweise französischen Übersetzung des „Sündenbocks“.