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Immaterielles Kulturerbe – Friedhöfe sind mehr als Ruhestätten

Seit fünf Jahren hat die Friedhofskultur in Deutschland den Status eines immateriellen Kulturerbes. Nun wurde über die Zukunft dieser Kultur diskutiert – denn die Rahmenbedingungen verändern sich stark.

Als Zentrum einer Millionen-Großstadt ist Berlins Mitte nicht unbedingt bekannt für ruhige Plätzchen. Und üblicherweise verirren sich eher Touristen, die eines der Gräber berühmter Persönlichkeiten suchen, auf den Dorotheenstädtischen Friedhof – wenige Gehminuten gelegen vom hektischen Hauptbahnhof.

Andreas Mäsing ist an diesem trüben Tag im März aus seiner westfälischen Heimat hierhergekommen, um ein besonderes Ereignis zu begehen. Der Gartenbau-Ingenieur aus Borken engagiert sich ehrenamtlich als Mitglied des Kuratoriums Immaterielles Erbe Friedhofskultur – ihn prägt eine besondere Verbundenheit zu dem Thema, erzählt er. “Ich bin neben einem Friedhof aufgewachsen. Gegenüber meines Elternhauses war der Bestatter und sowohl mein Großvater als auch mein Vater waren Friedhofsgärtner.”

Seit nunmehr fünf Jahren gehört die Friedhofskultur in Deutschland zum immateriellen Kulturerbe. Auch ein Verdienst des Kuratoriums, offizieller Ansprechpartner der deutschen Unesco-Kommission. Wichtig sei diese Anerkennung nicht nur für die Bewahrung, sondern auch für die Weiterentwicklung dieses Erbes, erklärt Mäsing. Denn die Zukunft der Friedhöfe sei eben nicht – wie vieles hier – in Stein gemeißelt.

Die Zukunft der Friedhofskultur war auch Thema einer Podiumsdiskussion zum ersten kleinen Jubiläum restaurierten Friedhofskapelle, die für ihre Lichtinstallation des US-amerikanischen Künstlers James Turrell bekannt ist. “Friedhöfe sind Seismographen des gesellschaftlichen Wandels”, stellte Tobias Pehle, Geschäftsführer des Kuratoriums, gleich zu Beginn fest. Veränderungen des Zusammenlebens und der gesellschaftlichen Strukturen wie zunehmende Mobilität und religiöse Vielfalt würden hier dokumentiert.

Dementsprechend wichtig sei die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Friedhof als Kulturgut. “Wir brauchen einen intensiven Diskurs darüber, was nach Wegbrechen der Kirchen als gesamtgesellschaftliche moralische Instanz unter Respekt und Toleranz zu verstehen ist und wie wir dementsprechend unsere Friedhofskultur pflegen wollen”, so Pehle.

Dem stimmte Britta Behrendt (CDU) zu, Staatssekretärin für Klimaschutz und Umwelt in der Berliner Senatsverwaltung: “Knapp 40 Prozent der Berliner haben einen Migrationshintergrund, etwa die Hälfte kommt aus einem muslimisch geprägten Kulturkreis. Wir beobachten, dass immer mehr dieser Menschen in Berlin ihre letzte Ruhestätte haben möchten – das war lange Zeit anders.” Insofern benötige es auch eine gewisse Flexibilität und Anpassungsbereitschaft der Friedhofsbetreiber und der übrigen Gesellschaft, sich auf andere Rituale und Bräuche einzulassen, forderte die Politikerin.

Hinzu komme – neben der kulturellen Komponente – rein Praktisches. “Auch Friedhöfe in Großstädten sind vom Kampf um knappe Flächen bedroht”, erklärte Behrendt. “Immer weniger Menschen wählen die klassische Form einer Beerdigung. Das stellt uns als Stadt bei der Finanzierung vor eine große Herausforderung.”

Fernab dieser Entwicklung warnte die evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs davor, die Wirkung einer gelebten Friedhofskultur zu unterschätzen. Friedhöfe seien die Orte, an denen die Endlichkeit des Menschen auf die Unendlichkeit Gottes treffe, sagte die Ratsvorsitzende Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). “Dorthin kommen die Lebenden, um ihre Toten zu ehren und die Einmaligkeit eines jeden Menschen wertzuschätzen”. Insbesondere in Zeiten, in denen der Schutz des Lebens keine Selbstverständlichkeit sei, sei es deshalb wichtig, diese Orte und deren Kultur zu erhalten und nicht einem “allgemeinen Interessenspoker” preiszugeben.

Ein Anliegen, das auch Friedhofsfan Andreas Mäsing vertritt: “Friedhöfe haben ihre Daseinsberechtigung nicht nur als kuratiertes Stadtgrün und als Ruhepole einer Großstadt. Sie sind insbesondere für uns Christen die sichtbare tägliche Erinnerung daran, dass es Hoffnung gibt.”