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Holocaust mit Kugeln

Das NS-Vernichtungslager Maly Trostenez in Minsk ist ein bisher wenig beachteter Ort der Judenvernichtung. Auch aus deutschen Städten wurden Menschen dorthin deportiert

Das NS-Vernichtungslager Maly Trostenez in Minsk ist ein in Deutschland weitgehend unbekannter Schauplatz des Holocaust. Dabei wurden auch Juden aus deutschen Städten dorthin deportiert und ermordet. Bei der Einweihung des Gedenkstätte war auch einer der wenigen noch lebenden Nachfahren der Opfer mit dabei: Der 92-jährige Kurt Marx konnte in einem Kindertransport von Köln nach London entkommen, seine Eltern wurden in Maly Trostenez ermordet.
Juden aus Hamburg, Köln, Düsseldorf, Bremen, Frankfurt am Main, Berlin und Prag wurden ab 1941 in Zügen nach Minsk gebracht unter dem Vorwand, sie in den von der deutschen Wehrmacht eroberten Gebieten in der Sowjetunion anzusiedeln. Darunter war auch die 61-jährige Ärztin Hedwig Jung-Danielewicz, die am 11. November 1941 mit 995 anderen Juden aus Düsseldorf und Umgebung an der Sammelstelle am Schlachthof eintraf. Per Zug ging es nach Minsk, damals Hauptstadt der Sowjetrepublik Weißrussland.
Die Wehrmacht hatte die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überfallen und die westliche Sowjetrepublik in wenigen Wochen eingenommen. In Minsk richtete die SS auf Befehl des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin sofort ein jüdisches Ghetto ein. 80 000 Menschen lebten auf engstem Raum in den Holzhäusern der Altstadt. Als die Transporte mit den deportierten Menschen ankamen, wurden im Ghetto Bewohner umgebracht, um Platz für die Neuankömmlinge zu schaffen. Im Vorort Maly Trostenez richteten die deutschen Besatzer einen Erschießungsplatz ein.
Der Düsseldorfer Transport war einer der ersten. Aus Hamburg waren wenige Tage zuvor auch 1000 Juden angekommen.
In Köln sorgte unterdessen der Direktor der einzigen weiterführenden jüdischen Schule im Rheinland, Erich Klibansky, dafür, dass 140 seiner Schüler in Kindertransporten nach England entkamen, unter ihnen auch Kurt Marx. Er hatte sich leicht von seinen Eltern verabschiedet. „Wir sehen uns in Amerika!“, flüsterten sie einander noch auf dem Bahnhof zu.
Erich Klibansky leitete die Jawne-Schule und hatte rechtzeitig erkannt, dass Juden unter den Nationalsozialisten keine Zukunft hatten. Er plante, seine Schule ganz nach England zu verlegen – aber nicht rechtzeitig. Am 20. Juli 1942 wurde auch aus Köln ein Transport mit 1164 jüdischen Kindern, Frauen und Männern nach Minsk geschickt.
Die Eltern von Kurt Marx waren dabei und sein Schulrektor Erich Klibansky. Sie wurden, wie heute bekannt ist, nicht mehr in das Minsker Ghetto gebracht, sondern unmittelbar nach der Ankunft in Maly Trostenez ermordet. Dort starb vermutlich auch die Ärztin Hedwig Jung-Danielewicz. Ihre Spur verliert sich und sie wurde nach dem Krieg für tot erklärt.
Auf den von der nationalsozialistischen Verwaltung geführten Listen sind etwa 60 000 Menschen verzeichnet, die in Maly Trostenez erschossen oder in Gaswagen getötet wurden. „Holocaust mit Kugeln“ nennt das der Direktor des Berliner Denkmals für die ermordeten Juden Europas, der Historiker Uwe Neumärker. Die Leichen wurden, als die Wehrmacht auf dem Rückzug war, 1943 wieder aus den Massengräbern gezerrt, auf letztes Zahngold untersucht und dann verbrannt.
„Die Menge der Asche allein zeigt uns, dass mindestens 200 000 Menschen hier getötet wurden“, sagt der orthodoxe Erzpriester von Minsk, Fjodor Powny. „Die genaue Zahl der Opfer werden wir nie kennen“, ergänzt Neumärker.