Papst Pius VI. (1775-1799) wurde zeitweise als “Pius der Letzte” verspottet, erzählt Historiker Jörg Ernesti in seinem neuen Buch. Der Nachruf auf das Papsttum war indes verfrüht.
Überall auf der Welt setzten und setzen sich Päpste für Frieden und Menschenrechte ein. In Krisenzeiten und Katastrophenfällen greifen sie als humanitäre Akteure ein. Keine Frage, die Päpste gelten weltweit als moralische Autorität, deren Stimme gehört wird. Wie es dazu kam, erklärt der Priester und Historiker Jörg Ernesti in seinem neuen Buch über die Geschichte der Päpste seit dem Jahr 1800.
Das Papsttum ist die älteste noch existierende politisch-religiöse Institution Europas. Eine Art Wahlmonarchie; nach dem Tod des Amtsinhabers wird im Konklave ein Nachfolger gewählt. Lange stammten die Päpste aus adeligen Familien, aber das nahm in dem von Ernesti untersuchten Zeitraum definitiv ein Ende.
Ebenso endete 1870 der alte Kirchenstaat, während sich das päpstliche Hofzeremoniell mit Straußenwedeln, Tragsesseln und Baldachinen noch länger hielt, bis es Papst Paul VI. 1968 abschaffte. Aus dem Päpstlichen Hof wurde das Päpstliche Haus. Unter Papst Franziskus wurden endgültig die letzten noch verbliebenen fürstlichen Accessoires des Papsttums abgeräumt, so der Historiker.
Die Nepoten (lateinisch für Neffen) hatten früher eine wichtige Rolle am Päpstlichen Hof. Es musten nicht unbedingt echte Neffen sein, so Ernesti, aber sie seien im Idealfall die Mitarbeiter gewesen, auf die sich die Päpste absolut verlassen konnten. Der Historiker fragt, ob “die Hoftheologen und päpstlichen Vertrauten nicht in der Tradition des Nepotismus stehen”.
Ernesti weist darauf hin, dass die Privatsekretäre der Päpste seit Johannes XXIII. eine große Bedeutung erlangt hätten, obwohl sie eigentlich nicht in der vatikanischen Hierarchie vorgesehen seien: “So haben die Päpste der letzten 60 Jahre allesamt Sekretäre an ihrer Seite gehabt, deren Einfluss letztlich nicht durchschaubar und kontrollierbar war.” Eine These des Historikers: Will man die Amtszeit eines Papstes beurteilen, muss man sich auch die engsten Mitarbeiter ansehen, die er ausgewählt hat.
So wie die katholische Kirche auf der Welt wuchs, wurde sie auch in ihrem Zentrum internationaler. Mit Papst Franziskus kam zum ersten Mal ein Kardinal aus Lateinamerika auf den Papststuhl, der letzte Nicht-Europäer war Gregor III. (gest. 741), der aus Syrien kam. Es sei heute nicht mehr nachvollziehbar, warum Päpste unbedingt Europäer oder gar Italiener sein müssen, da doch die Mehrheit der Katholiken in anderen Kontinenten lebe, so Ernesti.
Nach 1870 konnten die Päpste das politische Profil des Heiligen Stuhls als überparteilicher Friedensvermittler neu modellieren, stellt der Priester und Historiker fest. Er wurde ein “Akteur auf der internationalen Bühne”. “Die neuzeitlichen Päpste werden von vielen Menschen als moralisches Gewissen der Menschheit angesehen”, erklärt Ernesti. Das liege an ihrer Vermittlung in Konfliktfällen und ihrer “wertegeleiteten Außenpolitik, die sich ihre Verbündeten nicht nur unter katholisch geprägten Staaten sucht”.
Die moderne Außenpolitik des Vatikan setzt eher auf stille Verhandlungen hinter verschlossenen Türen denn auf medienwirksame Auftritte, stellt der Historiker weiter fest. Die Päpste würden mit Überparteilichkeit, Geduld und Diskretion das verfolgen, was sie als richtig ansehen. Gegenwärtig verteidige der Heilige Stuhl überall auf der Welt die Menschenrechte und mahne zu Frieden und Gerechtigkeit, erklärt Ernesti.
Auch Medien spielen eine wichtige Rolle für das Papsttum. Die Päpste waren in den letzten 200 Jahren zunehmend in den modernen Kommunikationsmitteln präsent, daher könne man durchaus vom “Medienpapsttum” sprechen, meint der Historiker. Leo XIII. gab als erster Papst ein Zeitungsinterview und ließ sich filmen. Pius XI. gründete Radio Vatikan. Pius XII. trat als erster Papst im Fernsehen auf. Johannes Paul II. verschaffte dem Vatikan einen starken Internetauftritt.
“Wie nie zuvor in der Geschichte ist das Papsttum im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit präsent”, sagt Ernesti und fügt hinzu, dass alle Katholiken und sehr viele Nichtkatholiken Bilder des Papstes kennen. Fast alle Amtsinhaber hätten eine starke mediale Ausstrahlung gehabt. Der Historiker fragt, welche Folgen es haben mag, wenn einmal ein Papst keine Affinität zu den Medien hätte.
“Das Papsttum lebt, es ist für die katholische Kirche unverzichtbar und übt auf die Zeitgenossen eine starke Faszination aus”, konstatiert Jörg Ernesti abschließend.