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Hingehen, hinsehen, miteinander reden

Knapp 300 Religionsgemeinschaften gibt es in Nordrhein-Westfalen – wie kann das gehen? Das Erwachsenenbildungswerk bietet neue Fortbildungsangebote zum Thema: Religionen und Spiritualität in der Migrationsgesellschaft

In Deutschland gehören zwei Drittel aller Menschen einer Religionsgemeinschaft an. Ungefähr 28 Prozent der Bevölkerung sind evangelisch, 29 Prozent katholisch, 5,8 Prozent muslimisch, zum orthodoxen Glauben bekennen sich 1,8 Prozent. Darüber hinaus gibt es noch Buddhisten, Hindus, Aleviten, Sikhs, Jesiden, Bahai und viele andere. Schätzungen zufolge existieren allein in Nordrhein-Westfalen knapp 300 unterschiedliche Religionsgemeinschaften.
Die Kenntnisse über die jeweils „anderen“ sind nicht groß. Bauchgefühle überwiegen: Über den Buddhismus denken viele Deutsche eher positiv, über den Islam eher negativ, über die meisten anderen hat man noch nie etwas Genaueres gehört oder gelesen. Differenzierte Wahrnehmungen sind die Ausnahme, denn auch die Medien berichten häufig verkürzt und sehr reißerisch über die Religionen, meistens nur dann, wenn es um Gewalt geht oder gar Tote zu verzeichnen sind.
Gegenseitige Besuche der Gotteshäuser sind immer noch selten. So öffnen zwar zum Beispiel rund 1000 islamische Gemeinden seit 20 Jahren jährlich am 3. Oktober ihre Moscheen. Sie bieten Führungen, Diskussionen und Ausstellungen an. Auch am Gebet darf man teilnehmen. Aber viele Jahre lang war dieses Angebot in der Bevölkerung überhaupt nicht bekannt. Die Medien berichten erst seit drei, vier Jahren verstärkt darüber. Auch in evangelischen Gemeinden sind regelmäßige Kontakte etwa mit der hinduistischen Gemeinde drei Straßen weiter oder der Hinterhofmoschee um die Ecke eher Ausnahme als Regel.
„Wir haben Bilder im Kopf, urteilen schnell, aber wir kennen uns nicht wirklich. Dabei haben wir große gemeinsame Anliegen, denn wir wollen doch miteinander in Frieden leben, hier bei uns und weltweit“, sagt Antje Rösener, Pfarrerin und Geschäftsführerin des Evangelischen Erwachsenenbildungswerkes Westfalen und Lippe (EBW). Deshalb hat sich das EBW-Team entschieden, den interreligiösen und interkulturellen Dialog im Jahresprogramm 2017 zu einem Schwerpunkt zu machen.
Bereits im Mai beginnt ein zehn-monatiger Zertifikatskurs zum Thema „Religion(en) und Spiritualität in der Migrationsgesellschaft“. An den neun Kurstreffen geht es ganz praktisch darum, mit Gläubigen anderer Religionen ins Gespräch zu kommen, ihre Gotteshäuser und Rituale, Sorgen und Wünsche kennenzulernen. Wie geben wir unseren Glauben an die nächsten Generationen weiter? Wie gehen wir mit Veränderungen, zum Beispiel neuen Lebensformen um? Was tun wir gegen Vorurteile gegenüber anderen?
„Natürlich wollen wir auch lernen, wie wir schwierige Themen miteinander ansprechen und Konflikte konstruktiv gestalten können. Aber dies muss mit Vertrauen und auf Augenhöhe passieren“ so Antje Rösener, die den Kurs leiten wird. „Es kann nicht sein, dass wir die anderen – zum Beispiel die Muslime – nur auf die Anklagebank setzen und unser eigenes Verhalten kaum hinterfragen.“
Deshalb bietet das Erwachsenenbildungswerk weitere Seminare an, die dazu einladen, die eigenen interkulturellen Kompetenzen gezielt zu erweitern. Für Menschen, die beruflich viel mit unterschiedlichen Religionen und Kulturen zu tun haben oder die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, bietet sich der Zertifikatskurs zum interkulturellen Trainer beziehungsweise zur interkulturellen Trainerin an.
Der Kurs startet im September in Dortmund. Diese Fortbildung in drei Modulen schließt mit einem Zertifikat ab, das durch die Deutsche Gesellschaft für Interkulturelle Trainingsqualität offiziell geprüft und anerkannt ist. Hier geht es explizit darum, sich mit den praktischen und theoretischen Grundlagen der interkulturellen Kommunikation vertraut zu machen und unterschiedliche Konflikttypen und Lösungsstrategien kennenzulernen.
Es ist aber auch möglich, ein eintägiges interkulturelles Kompetenztraining zu besuchen oder an einer Exkursion zum Hindutempel in Hamm oder ins Buddhistische Zen­trum nach Essen teilzunehmen.
„Ein gutes und gerechtes Miteinander unterschiedlicher Religionen und Kulturen hier in Deutschland ist zentral für unsere Zukunft und für den sozialen Frieden im Land“, meint Antje Rösener. „Hier können auch wir Christen noch viel lernen und entdecken.“ EBW

Das Jahresprogramm 2017 und weitere Informationen über Seminare in diesem Themenfeld können kostenlos angefordert werden unter: Evangelisches Erwachsenenbildungswerk Westfalen und Lippe e.V., Telefon (02 31) 54 09 15, E-Mail: martina.kampmann@ebwwest.de.