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“Hier stirbt niemand allein”

In Corona-Zeiten ist das Abschiednehmen von sterbenden Menschen schwer geworden. Was in den Hospizen noch geht, ist andernorts kaum noch möglich. Experten warnen schon vor einem Verlust der Trauerkultur.

Einfach nur die Hand halten – auch das gehört im Hospiz dazu
Einfach nur die Hand halten – auch das gehört im Hospiz dazuPixabay

Falkenburg/Kr. Oldenburg. In der großen und hellen Wohnküche duftet es nach frischem Kaffee. Einige Gedecke auf dem weihnachtlich geschmückten Tisch sind an diesem Morgen noch unberührt. Zwei Hunde schnuppern hier und da und genießen es, von allen Anwesenden zumindest kurz gestreichelt zu werden. Unter den Anwesenden herrscht beste Stimmung. „So sieht es morgens aus in unserem Hospiz. Hier wird gelacht – aber auch geweint und Abschied genommen“, sagt Gisela Albers. Sie ist Chefin im evangelischen Laurentius-Hospiz in Falkenburg bei Bremen. Es gehört zur „Mission Lebenshaus“, eine gemeinnützige Tochtergesellschaft des Bremer Vereins für Innere Mission.

Wie überall ist Corona auch im Hospiz ein Thema. Dennoch gibt es kaum Beschränkungen für die Besucher. „Kein Mensch soll sich hier einsam fühlen“, betont Albers. Die Bewohnerinnen und Bewohner werden hier „Gäste“ genannt. Selbst während der ersten Welle konnten sie Angehörige und Freunde empfangen. „Hier stirbt niemand allein“, sagt Albers mit Nachdruck.

Kaum Kontaktbeschränkungen

Anders als in Pflegeheimen und Krankenhäusern konnten Angehörige auch während des Lockdowns ihre Verwandten und Freunde in den stationären Hospizen besuchen, bestätigt die stellvertretende Vorsitzende des Hospiz- und Palliativverbandes Niedersachsen, Verena Gerdes. „Die Politik hat bei allen Corona-Maßnahmen die Sterbebegleitung im Blick gehabt.“ In den 28 stationären Hospizen und den 126 ambulanten Hospizdiensten in Niedersachsen habe es kaum Kontaktbeschränkungen gegeben.

“Rückschritt in der Trauerkultur”

In Krankenhäusern und anderen Pflegeeinrichtungen hätten die weitaus strengeren Corona-Auflagen das Abschiednehmen und Trauern hingegen massiv erschwert, erläutert Gerdes und konstatiert: „Wir erleben eine Art Rückschritt in der Trauerkultur“. Viele Freunde, Bekannte und Nachbarn hätten keinen Abschied nehmen können, weil die Heime und Kliniken die Besuche für Sterbende restriktiv regeln mussten. „Das Sterben ohne Abschied hat durch die Pandemie massiv zugenommen und stellt, wenn man so will, eine zugefügte Trauer dar.“ Selbst das rituelle Kaffeetrinken nach der Beerdigung werde kaum noch zelebriert. Dort tauschten Menschen üblicherweise Erinnerungen aus, sie weinten und lachten gemeinsam. „Wenn ein gemeinschaftliches Erleben von Trauer nicht möglich ist, bleibe ich mit meinen Gefühlen allein“, betont Gerdes.


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Im Fokus der Medien stünden derzeit die täglichen Corona-Zahlen und der Blick auf die Intensivmedizin. Dabei gehe das gesellschaftliche Bewusstsein verloren, dass das Sterben in die Mitte der Gesellschaft gehören. „Der Tod lässt sich nicht outsourcen und hinter Masken verstecken, sondern ist als Dauerthema präsent“, mahnt Gerdes.

Im Falkenburger Laurentius-Hospiz ist der Umgang mit Abschied und Tod gelebter Alltag. Alle acht Gästezimmern sind belegt. Keiner der Gäste leidet unter Covid-19. Doch auch hier ist das gemeinschaftliche Abschiednehmen reduziert. „Vor Corona kamen ganze Kaffeekränzchen zu Besuch und feierten ihr wöchentliches Ritual in unserer Wohnküche. Das geht nun nicht mehr“, bedauert Gisela Albers. Die Besucher müssen sich in den Zimmern der Hospizbewohner aufhalten. „Was fehlt, ist die Nähe. Wir können uns zum Trösten nicht umarmen, nicht die Hand halten.“ Oft seien solche Gesten wichtiger als Worte.

Alle nehmen sich Zeit

Elfi Klüver ist trotzdem dankbar, dass ihr Mann hier im Laurentius-Hospiz als Gast leben darf. Der 69-Jährige wurde Anfang November aufgenommen, „an unserem 49. Hochzeitstag“. Corona mach ihre keine Sorgen. „Ich bin mit meinen Gedanken bei meinem Mann.“ Sie ist begeistert, wie viel Zeit sich die Haupt- und Ehrenamtlichen für ihren Mann nehmen können: „Es ist einfach toll, dass es so etwas gibt.“ Außerdem dürfe auch sie im Hospiz übernachten. „Das ist viel besser, als Zuhause auf den einen Anruf zu warten.“ (epd)