Predigttext
Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die übrig geblieben sind von seinem Erbteil; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er ist barmherzig! Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast.
Wo ist so ein Gott, der die Sünde vergibt? Fragt der Prophet Micha. Gute Frage, in der Tat. Wo ist so ein Gott?
Das ist keine theoretische Frage. Keine für die gemütliche Stunde am Abend. Jedenfalls dann, wenn sie ernst gemeint ist. Richtig ernst.
Dann ist das eine bedrängende Frage. Eine, die mich betrifft. Wenn ich mit meiner Schuld nicht klarkomme, mit meinem Versagen und meinem Nicht-Genügen, mit meinen Ängsten oder den negativen Rückmeldungen der anderen. Dann stellt sich die Frage äußerst dringend: Wo ist so ein Gott? Der vergibt und erlässt und mich damit entlastet. Mich vielleicht sogar befreit von meiner Last.
Vor derselben Frage stehe ich, wenn ich nicht vergeben kann, was mir ein anderer angetan hat. Vor Längerem schon oder erst vor Kurzem. Oder jetzt gerade, die ganze letzte Zeit und immer noch.
Keine einfache Antwort auf die Frage
Aber auch andersherum: Wo ist so ein Gott, wenn mir nicht vergeben wird? Obwohl ich darum bitte und mir nichts sehnlicher wünsche als diese Vergebung?
Und weiter gefasst: Wo ist so ein Gott, wenn ich den Eindruck habe, in unserem Land ist die Erbarmungslosigkeit stärker als die Solidarität? Was zum Beispiel dazu führt, dass wir die Grenzen zwar füreinander öffnen, aber sie schön dicht lassen für Menschen, die von außen zu uns kommen wollen. Oder müssen.
Wo ist so ein Gott?
Keine Frage mit einer einfachen Antwort.
Sicher ist nur, dass wir Gott nicht auf einen bestimmten Ort festlegen können. Oder von anderen Orten ausschließen.
Das geht ebenso wenig in dieser Welt wie in unserem Leben. Wir können zwar sagen: „Hier ist Gott. Und da ist er nicht. An meinen guten Tagen ist er da. Und an meinen schlechten ist er wer weiß wo.“ Aber wo Gott ist, das hängt nicht davon ab, was wir sagen. Ganz bestimmt nicht.
Heißt das also: Gott ist überall? Und jederzeit?
Auch mitten in dem Unrecht, das wir tun? Oder das uns angetan wird?
Auch mitten in den Fragen, die wir stellen? Oder die uns auf dem Herzen liegen?
Hilft es Ihnen, zu hören: Gott ist mitten in dem, was Sie sich selber nicht vergeben können?
Oder anderen?
Denn das ist es wohl, worauf der Prophet Micha hinauswill: Gott ist mittendrin, überall – selbst da, wo wir ihn nicht sehen und nicht erwarten. Selbst in der Erbarmungslosigkeit und in der Schuld. Sogar in Ihrer. Gott hält sich nicht vornehm heraus, sondern nimmt Ihre Schuld unter die Füße und Sie an die Hand. Damit Sie da herauskommen können aus Ihrer Schuld.
Das verheißt Gott Ihnen und uns allen. Ein echtes Angebot. Das Gott uns macht, mitten in unserem Leben, mitten in der Situation, in der wir gerade stecken.
Und dann stellt sich die Frage auf einmal anders:
Wenn Gott da ist, in deinem Leben, in deiner Situation, was machst du dann damit?
Kannst du das annehmen? Nicht nur theoretisch, sondern wirklich persönlich, für dich selbst? Kannst du dir vergeben lassen? Reicht dir Gottes Vergebung, auch wenn dir von Menschen nicht vergeben wird?
Und kannst du diese Vergebung weitergeben? An die, denen du aus eigener Kraft nicht vergeben kannst? Kannst du die Verheißung unseres Gottes, die Befreiung von der Schuld geschehen lassen?
Aber zurück zum Ausgangspunkt.
Wo ist so ein Gott? Das war die Frage.
Der Bibeltext tut allerdings mehr, als diese Frage zu stellen. Er kommt darüber hinaus zu der Feststellung: Du bist, Gott. Im Ansprechen, auch im Fragen. Selbst wenn die Frage keine Antwort findet. Du bist umgekehrt auch im Angesprochen-Werden, im Gefragt-Sein.