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Große Angst vor der zweiten Welle

Der Corona-Lockdown Mitte März traf die Kleinkunstszene ins Mark. Die strengen Abstandsregeln sorgten dafür, dass fast alle Auftritte abgesagt oder verschoben wurden. Viele Comedians, Kabarettisten und Schauspieler bangen seitdem um ihre Existenz.

Frankfurt a.M./Mainz (epd). Die Mainzer Humor-Künstlerin Lea Hieronymus traf der Lockdown wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie stand gerade vor der Premiere ihres ersten Soloprogramms «Lustig? Kann Jede*r!» im ausverkauften «Unterhaus» in Mainz. «Für mich, die ein Jahr lang genau auf dieses Datum hingearbeitet hatte, war das natürlich ein Schock», sagt die 24-jährige Tochter von Comedian Sven Hieronymus, des «Rockers vom Hocker» im Privatsender «RPR1». Auch alle weiteren Auftritte seien danach gestrichen beziehungsweise in den Herbst verschoben worden. «Da fällt man erst einmal in ein großes Loch!»

   Auch die Gießener Schauspielerin, Synchronsprecherin und Regisseurin Irina Ries (38) und der Tübinger Kabarettist Philipp Weber (45) wurden durch die Schließung der Theater und Kulturzentren zur Untätigkeit oder zur Arbeit an anderen Projekten gezwungen. Ries musste seit ihrem Auftritt am 14. März im Gießener Astaire's elf Vorstellungen absagen, darunter auch ihr Soloprogramm «Fische» im «bruchwerk»-Theater in Siegen. Sie habe durch die Absagen rund 6.000 Euro verloren, schätzt Ries, «wobei ja auch nicht klar ist, was noch hätte dazu kommen können». Überbrückt hat sie die Zeit unter anderem mit einer Online-Produktion und einer Weiterbildung.

   Weber, der bereits seit 2004 hauptberuflich als Kabarettist unterwegs ist und zu den Etablierten des Genres zählt, musste seit Mitte März sogar 45 Gastspiele absagen und auf sehr viel Geld verzichten. Wie viel genau weiß er nicht. «Es ist auch nicht interessant zu wissen, wie viel man verdient hätte, wenn man wirklich
gar nichts verdient», sagt er. Immerhin habe er vom Land Baden-Württemberg einen Teil der laufenden Kosten erstattet bekommen. Aber insgesamt hält er die staatlichen Leistungen für Solo-Selbstständige für unzureichend.

   Genauso wie Ries. Sie hat lediglich ein Arbeitsstipendium der Hessischen Kulturstiftung in Höhe von 2.000 Euro für drei Monate erhalten. «Da ich als Verheiratete weder Arbeitslosengeld II berechtigt bin und verschwindend geringe Betriebskosten habe, also auch keine Selbstständigenförderung greift, ist das immerhin etwas.» Der Antrag der Newcomerin Hieronymus auf staatliche Hilfe wurde, wie sie sagt, «ohne triftigen Grund abgelehnt». Schließlich habe sie sogar Arbeitslosengeld beantragen müssen.

   Weber kritisiert, dass von dem Corona-Hilfspaket «Neustart Kultur» für soloselbstständige Kreativschaffende in Höhe von einer Milliarde Euro fast ausschließlich staatliche Institutionen profitierten. «Private Theater und Veranstalter werden dabei vollkommen vergessen. Hochverdiente Bühnen wie das Nürnberger Burgtheater, Verleiher des deutschen Kabarettpreises, müssen jetzt um Spenden betteln, weil sie vollkommen unverschuldet in finanzielle Nöte gekommen sind und dadurch vor dem Aus stehen.»

   Wenn nur ein Bruchteil der als Corona-Hilfen ausgeschütteten Gelder an private Theater und Kulturvereine gehen würde, könnten deutlich mehr Arbeitsplätze gerettet werden als bei Unternehmen wie zum Beispiel der Lufthansa, ist Weber sicher. «In der Kreativbranche arbeiten rund 1,7 Millionen Menschen. Unser Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Leistung betrug 2018 etwa 100 Milliarden Euro. Was die Wertschöpfung betrifft, schlägt uns nur noch die
Autoindustrie.»

   Der Kabarettist hat in den vergangenen Monaten an neuen Programmen geschrieben und an Büchern gearbeitet. Auf Auftritte im Netz hat er verzichtet. «Bühne bedeutet: Zusammenkommen, gemeinsam etwas erleben. Und dafür gibt es keinen digitalen Ersatz.» Weber hat in der Krise auch keinen Moment damit geliebäugelt, seinen Kreativ-Job an den Nagel zu hängen. «Ich denke, man fühlt sich zur Bühne berufen, wie ein Priester zum Altar. Das aufzugeben hieße, seine Träume, sein Selbstbild und seine Leidenschaft zu verlieren», sagt er.

   Alle drei Solo-Künstler hoffen, dass sie nach den Lockerungen der vergangenen Wochen im Herbst wieder auftreten können. Live und in Farbe. Trotzdem sitzt ihnen die Angst vor einer zweiten Infektionswelle im Nacken. «Das wäre für uns alle katastrophal, nicht nur für die Künstler und die Veranstalter», macht Hieronymus deutlich. Ries befürchtet in einem solchen Fall einen kompletten Auftragsstopp, und Weber ein schleichendes Bühnensterben. Allerdings, so der Tübinger, würde er gegebenenfalls auch das tun, «was jeder
gute Komiker tun sollte: den Humor nicht zu verlieren».