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Gottes Liebling – Weisheit

Nicole Richter vom Frauenreferat der Evangelischen Kirche von Westfalen im Gespäch mit der Theologin und Autorin Christina Brudereck

Christina Brudereck ist Theologin und Autorin und lebt in einer Kommunität in Essen. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Pianisten Benjamin Seipel, bildet Brudereck das Duo „2Flügel“. Sie ist Myanmar-Sonderbotschafterin des Kinderhilfswerks World Vision Deutschland. Zusammen mit dem Frauenreferat der Evangelischen Kirche von Westfalen veranstaltet sie im Juni ein Seminar mit dem Titel „Sophias Schwestern philosphieren im Grünen“ (siehe „Termine“). Mit Blick darauf sprach mit ihr die Leiterin des Frauenreferats Nicole Richter.

Was verbirgt sich hinter diesem Titel? Und wer sind „Sophias Schwestern“?
Sophia ist die Weisheit. „Philosophieren“ bedeutet, sich inspirieren zu lassen von ihr. Die Weisheit liebzugewinnen als Freundin. Die Bibel nennt die Sophia „Gottes Liebling“ (Buch der Sprichwörter 8,30). Damit ist Gott eine Philosophin. Wir brauchen diese Kraft dringend in dieser Welt.
„Im Grünen“ bedeutet: Wir verbringen ein Wochenende in der Natur. Mit Zeit für Bewegung, Genuss, Worte und heilige Pausen. Sonne auf der Haut. Der Körper ist beim Yoga gefragt und wird verwöhnt. Die Finger riechen beim Kochen nach Kräutern und Gewürzen. Wir reimen, suchen Worte, beten.
Sophias Schwestern sind Frauen, die sich wünschen, diese kluge Kraft für sich zu entdecken. Helle Euphorie, die uns widerständig macht und Schwung verleiht. Schwestern, weil wir seelenverwandt sind. Verbunden und verantwortlich für Familie und Mensch.

Weise Frauen gibt es viele, aber trotzdem erinnert man in der Geschichtsschreibung nur selten an sie. Woran liegt das?
Wir müssten, um eine Antwort zu finden, wohl vor allem über Macht sprechen. Wer wurde an der Geschichts-Schreibung beteiligt? Über Chancen. Bildung. Benachteiligung. Vorurteile. Über Kumpanei. Und Ignoranz. Wer bestimmte die Themen, den Blickwinkel? Über Forschungslücken.
Dass Frauen immer schon Einfluss genommen haben, viel geleistet haben, ist sicher, wurde aber oft nicht festgehalten. Wobei es rühmliche Ausnahmen gibt! Ich erzähle liebend gern Geschichten von meinen Großmüttern. Um ihre Weisheit sichtbar zu machen. Ihr Urteilsvermögen. Geschult durch Kriege, Kämpfe, Geburten, Glauben, Verluste, Versöhnung, Geschichte.
Ich freue mich, wenn Frauen sichtbar sind. Wenn wir uns einmischen. Unsere Sicht, Begabung und Erfahrung einbringen. Gut über einander sprechen. Wenn wir tun, was wir können. Und die Hauptpersonen unserer Lebensgeschichte sind.

Welche weisen Frauen beeindrucken Sie derzeit?
Malala Yousafzai, die gerade mal 18 ist, weil sie mutig ist und klar. Elizabeth II., die gerade 90 wurde, weil sie Ausdauer hat. Ein Leben lang so die eigenen Ideale zu verkörpern – Respekt! Selmin Çalıskan, die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland. Weil sie zäh ist. Angela Merkel, immer mal wieder. Vor allem, weil sie sich erlaubt, intuitiv zu sein. Meine Schwester Dorothea, weil sie eine engagierte Lehrerin ist, die für Kinder ganz neue Wege geht. Meine Schwester Katharina, weil sie zurzeit eifrig Arabisch lernt. Judy Dench. Weil sie so ausgezeichnet und schön alt ist. Und weil sie (als Quäkerin erzogen) so würdigend glaubwürdig über ihren Glauben spricht. Alice Walker. Weil sie mit ihrer besonderen Art, zu erzählen, immer wieder Minderheiten und Außenseiterinnen eine Stimme gibt. Und Clara Zetkin. Denn ich habe gerade eine Geschichte über sie entdeckt. Da singt sie mitten in einer politischen Versammlung, die nicht genehmigt war und von der Polizei gestört wird: „Ein feste Burg ist unser Gott!“. Und die Polizei zieht ab… Das nenne ich mal geistesgegenwärtig! Sehr beeindruckend. Und eine tolle Motivation, dieses Reformationslied zu singen.

Wodurch zeichnet sich Weisheit für Sie aus?
Weisheit ist weit, weit mehr als Wiki, Wissen, Spezialwissen. Weisheit ist Lebensklugheit, Erfahrung, Herzensbildung. Eine Haltung. Tiefe Einsicht in menschliche Schwächen und Stärken, Wünsche und Fähigkeiten. Insofern ist Weisheit fast immer auch kühn und unbefangen. Weil sie sich orientiert an etwas Größerem. Die Bibel schwärmt daher von ihr. Und weil sie sich eingesteht, dass sie nicht alles weiß, ist sie irrtumsfähig. Sie kann vom Dümmsten noch was lernen. Das gehört auch zu ihr. Sie ist nicht rechthaberisch. Daher auch nicht gewalttätig. Sie kann aber wohl Machtworte sprechen.
Arundhati Roy (1961 geborene indische Schriftstellerin, Anmerkung der Redaktion) rät einmal: „Vereinfache nicht, was komplex ist, und verkompliziere nicht, was einfach ist.“ Diese Balance finde ich weise. Weisheit weiß nicht nur um eine Gruppe, ein Land, ein Bekenntnis, eine Farbe, eine Art zu leben. Sie sucht, das Große, das Ganze in den Blick zu nehmen. Gottes Liebling eben.

Weitere Informationen über Christina Brudereck unter www.christinabrudereck.de.