Predigttext
18 Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist. 19 Josef aber, ihr Mann, der fromm und gerecht war und sie nicht in Schande bringen wollte, gedachte, sie heimlich zu verlassen. 20 Als er noch so dachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. (…) 22 Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): 23 „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben“, das heißt übersetzt: Gott mit uns. 24 Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. 25 Und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.
Mit einem Träumer gehen wir dieses Jahr in die Christnacht. Mit dem Träumer Josef, der einfach tut, was der Engel ihm sagt. Und das heißt zugespitzt erst einmal: nichts. Josef mischt sich nicht ein, hält sich mit eigenen Weisheiten und Plänen zurück, lässt Gott gewähren. Das irritiert. Ausgerechnet in diesem Jahr, das uns auf bisweilen absurde Weise in Trab gehalten und ständig neue Entscheidungen gefordert hat. Nicht nur Einzelne haben erfahren, wie dünn das Eis ist, auf dem wir unser Leben führen – und wie schnell die vermeintliche Sicherheit zerbricht, mit der wir eben noch meinten, alles im Griff zu haben.
Martin Luther predigte in seiner Wittenberger Gemeinde am 24. Dezember 1528 zur Weihnachtsgeschichte vom Träumer Josef. Ein Jahr zuvor, 1527, hatte in Wittenberg die Pest gewütet. Luther hatte trotzdem in der Stadt ausgehalten. Nicht aus frommem Leichtsinn. Sein Vertrauen auf Gott befreite ihn vielmehr dazu, das Nötige zu tun. Und: In christlicher Freiheit das Gefährliche zu unterlassen. Die Botschaft seiner Predigt steckt in einem einzigen Satz: „Er heißt Immanuel, nicht: Wir mit Gott, sondern umgekehrt.“
Wir mit Gott: Wie viele Anstrengungen unternehme ich, um Gott in meine Logik zu zwingen! Mein Entscheiden und Planen, mein Jammern und Klagen, auch mein Beten und Fragen: All das sucht Gott im engen Rahmen meiner Erwartungen und Bedürfnisse. Ich mit Gott. Wir mit Gott. Unsere Kirche mit Gott. Gerade jetzt, zu Weihnachten.
Doch: „Er heißt Immanuel, nicht: Wir mit Gott, sondern umgekehrt.“
Für den Evangelisten Matthäus ist dies das Entscheidende. Die Geburt des Kindes erwähnt er nur beiläufig, ihm kommt es auf die Namen an, die das Kind erhält. Josef, der Träumer, soll das Kind „Jesus“ nennen, zu Deutsch: „Der HERR hilft, rettet, erlöst“. Diesem Jesus, so erzählt Matthäus, werden die Menschen – auch wir als christliche Gemeinde im Jahr 2020 – den Namen „Immanuel“ geben: Denn sie – und wir – werden erfahren, dass er sich als ein „Gott mit uns“ erweist.
Sie werden. Wir werden. Welch ein Überschuss an unbeirrter Hoffnung!
Matthäus erzählt eine tief gegründete Gegengeschichte zu dem, was viele gerade erleben. Sie steht handfest im Leben, diese Gegengeschichte, voller Kraft, voller Leben, voller Wahrheit: „Gott mit uns.“
Josef, der Träumer, erwacht erst, nachdem der Engel zu ihm gesprochen hat. Vielleicht war ihm, als zitiere der Bote Gottes aus der Schrift: Das Seltsame und Verquere, das du gerade erlebst, Josef, kommt schon in der Heiligen Schrift deiner Mütter und Väter vor. So verrückt es dir erscheint, es fällt nicht heraus aus der Geschichte Gottes mit uns Menschen, es hat seinen Platz mitten darin. Gott mischt sich ein, auch jetzt, auch in dein Leben – auf eine Weise, die du im Moment womöglich nicht einmal ahnst.
Die Geburt des „Gott mit uns“ macht das Leben für Josef und seine Familie nicht leicht. Im Gegenteil. Neue Probleme entstehen. Aber der Engel, so erzählt Matthäus, weicht nicht von ihrer Seite – und rettet.
Ob wir es wagen, in der Christnacht 2020 wie Josef auf diesen Engel zu hören? Zu tun, was er sagt? Und das heißt zugespitzt erst einmal: nichts. Mit den eigenen Plänen und Weisheiten zurückstehen und Gott gewähren lassen?
Ich bin gewiss: Auch die verwirrende Geschichte dieses „verrückten“ Jahres 2020 hat ihren Platz in der Geschichte Gottes mit uns. Wie jede einzelne Lebensgeschichte, so bruchstückhaft und verworren sie sein mag. Denn: „Nicht wir mit Gott, sondern umgekehrt.“