Als Christina den viel jüngeren Patrick kennenlernt, meint sie in ihm ihre tödlich verunglückte große Liebe wiederzuerkennen. Ein Film über das Wiederfinden eines verlorenen Menschen in einem anderen.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Christina (Verena Altenberger) hat auch rund 20 Jahre nach dem Unfalltod ihres Freundes Jacob (Florian Stetter) den Verlust nicht überwinden können. Als sie eines Nachts auf einen freundlichen jungen Mann trifft, erinnert sie Patrick (Alessandro Schuster) an den Verstorbenen. Die beiden werden ein Paar, doch die Präsenz des Toten, der für die Frau immer mehr mit ihrem neuen Freund verschmilzt, bleibt nicht ohne Folgen für die Beziehung.
Zehn Jahre nach seinem Historien-Dreiecksdrama “Die geliebten Schwestern” nimmt Dominik Graf sich für diesen Fernsehfilm erneut des Themas Liebe an. Sein ambitioniertes Drama um Romantik und Verlust ist streckenweise wie ein Thriller angelegt und variiert auch die Prämisse von Hitchcocks “Vertigo”. Das komplex aufgebaute, intensiv dargestellte Werk hält auch seine überzeitlich-spirituelle Thematik einer möglichen Fortexistenz der Seele reizvoll in der Schwebe.
“Non sono Elena”, beharrt die Kleine, “sono Christina!” Ich bin nicht Elena, ich bin Christina. Auf einer anderen, zusätzlichen Identität besteht das kleine Mädchen; die Mama geht spielerisch darauf ein. Patrick, der seinerseits ebenfalls eine weitere Wesenseinheit zu verkörpern scheint, beobachtet die Szene auf dem Marktplatz eines Tiroler Bergdorfs. Womit der schöne Film “Gesicht der Erinnerung” von 2022 endet.
Eine Geschichte über die Liebe, deren Verlust und das Wiederfinden des verlorenen Menschen in einem anderen erzählen uns Drehbuchautor Norbert Baumgarten und Regisseur Dominik Graf. Es ist eine flirrende, keine geradlinige Story. Im Zentrum steht Christina (Verena Altenberger), die zusammen mit ihrer WG-Mitbewohnerin Antje (Maria Preis) eine kleine Physiotherapie-Praxis in Salzburg betreibt. Es ist ein funktionierendes, aber fragiles Lebenskonstrukt, zu dessen Stabilisierung Christina Psychotherapie und Psychopharmaka benötigt.
Von Träumen und Erinnerungen “eines anderen, fremden Bewusstseins” werde sie heimgesucht, berichtet sie ihrem Therapeuten. Und doch sind die atmosphärisch-assoziativen, regenbogenbunten Erinnerungsfetzen an ein junges, leidenschaftliches Liebespaar in einer Ruine ihre eigenen – beziehungsweise die ihres jüngeren Ichs: Als 16-Jährige (Judith Altenberger) verliebte sich Christina in den deutlich älteren Familienvater Jacob (Florian Stetter) und erlebte eine kurze, tiefe Love Story; die absolute Liebe sozusagen. Doch sie endete mit Jacobs Unfalltod so abrupt wie traumatisch.
Als Christina dann den 20 Jahre jüngeren Musiker Patrick (Alessandro Schuster) kennenlernt, meint sie in ihm Jacob wiederzuerkennen und lässt sich auf die erste Beziehung seit damals ein. Doch die leidenschaftliche Affäre leidet darunter, dass Christina immer mehr Parallelen zwischen Patrick und Jacob sieht, dessen Gesten und Sätze in Patrick wiederentdeckt. Patrick wiederum fühlt sich nicht als er selbst gesehen, beendet die Sache – um schließlich viel später doch zurückzukehren an Christinas Seite und sie zu begleiten, bis ganz zuletzt.
Dominik Graf erzählt von der Liebe wie kaum ein anderer Regisseur in Deutschland. Das hat er schon mit “Die geliebten Schwestern” über eine Dreiecksbeziehung rund um Friedrich Schiller gezeigt (ebenfalls mit Florian Stetter). Expressiv, atmosphärisch, sinnlich und sehr körperlich; in Andeutungen, mit Auslassungen und – vermeintlichen – Umwegen; mit Blick für Details und subjektive Wahrnehmung. Kurzum: mitreißend und wunderschön.
Auch wenn Setting und Stil von “Gesicht der Erinnerung” ganz anders ist als das Historiendrama, viel urbaner, assoziativer und farbiger, gilt dies für den einen wie für den anderen Film. Hendrik A. Kley liefert hier magisch-hypnotische Bilder; voller Schatten und dunkler, ans Kino lange vergangener Tage erinnernde Straßenszenen. Aber auch luftige Aufnahmen sommerlichen Hinterhofgeplänkels, von flatterhaften Flirtereien zwischen Balkon und Asphalt.
Oliver Jergis hat eine zwischen ausdrucksstark und hyperrealistisch angelegte Tonspur geschaffen, die im Zusammenspiel mit den anderen Gewerken – erwähnt sei auch die wilde, kontrastreich, fesselnde Montage von Claudia Wolscht – einen regelrechten Sog erzeugt. In den Darstellern Verena Altenberger, deren jüngerer Schwester Judith Altenberger sowie Florian Stetter und Alessandro Schuster findet die Story zudem eine kongeniale Besetzung. Toll gespielt sind auch sämtliche Nebenfiguren.