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Geschmack vom Papst

Erst durch den päpstlichen „Butterbrief“ aus dem Jahr 1491 wurde der Stollen zum Exportschlager. Er machte aus dem geschmacklosen Fastengebäck die heute bekannte Köstlichkeit, die als Marke sogar geschützt ist

KNA/Frauke Thielking

Dresdner Stollen ist in der halben Welt ein Begriff. Doch was macht den echten Striezel aus? Rene Krause gewährt Einblick in seine Backstube.

Ein riesiger Knethaken zieht Minute um Minute seine Runden durch 240 Kilo Teig. Mehr als die Hälfte davon Butter, ein Fünftel Orangeat und Sukkade, der Rest sind Mehl, Zucker, Mandeln, etwas Milch und Hefe und natürlich Gewürze. Rene Krause schüttet einen Eimer voll Sultaninen dazu. „Die haben schon 24 Stunden in Rum und Amaretto gelegen“, erklärt der Bäckermeister mit prüfendem Blick. 120 Dresdner Stollen werden jetzt aus dem Teig, eine Ofenladung. Krause ist ein Stollenprofi. Rund 100 000 backt er mit seinen Mitarbeitern pro Jahr in dem Familienbetrieb. Bereits im Frühsommer kommen die ersten ins Rohr, kurz nach Weihnachten die letzten. Ab 15. September dürfen sie verkauft werden – so geregelt durch die strenge, detailfreudige Satzung des „Schutzverbands Dresdner Stollen“. Dieser ist quasi der Lordsiegelbewahrer des Dresdner Traditionsgebäcks. Er sichert nicht nur mit Vorgaben zur Rezeptur die Qualität, sondern auch das Marketing: So ist „Dresdner Stollen“ eine geschützte Marke mit eigenem Siegel. Nur die rund 130 zum Verband gehörenden Stollen-Bäckereien aus dem Großraum Dresden dürfen den echten „Dresdner Stollen“ backen. Alles andere ist „Stollen nach Dresdner Art“.

Im Frühsommer werden die ersten Stollen gebacken

Bäcker Krause weiß viel über die Spannung und Entspannung von Stollenteig, über die hohe „technologische Qualität“ türkischer Sultaninen, über die „oxidationshemmende Eigenschaft“ von Butterfett. Mit geübter Hand bringt er die Teig­laibe in die längliche Stollenform. Der 39-Jährige ist sich sicher: „Einen qualitativ so hochwertigen Stollen wie jetzt hat es in der gesamten Geschichte noch nie gegeben.“ Zu DDR-Zeiten etwa habe man in Ermangelung von Sukkade in Zucker eingelegte grüne Tomaten als Zutat verwendet. „Aber ohne den Papst wäre das Ganze sowieso ein ziemlich fades, knochentrockenes Gebäck geblieben“, ergänzt Krause lachend.
Mit dem Dresdner Stollen verhält es sich nämlich so: Er kam im Spätmittelalter als Fastengebäck auf. Damals durften die Bäcker in katholischen Gegenden während der adventlichen Fastenzeit neben Hefe, Mehl und Wasser nur Öl zum Backen benutzen. Ganz im Sinne des Verzichts waren weder Milch noch Butter erlaubt. Dem Geschmack tat das einen ernst zu nehmenden Abbruch. So arg, dass sich Kurfürst Ernst von Sachsen an die höchste katholische Autorität wandte und den Papst um Dispens für die Dresdner Bäcker bat. Doch Rom zögerte. Erst 1491 – da war der Kurfürst Ernst bereits fünf Jahre tot – erreichte den Dresdner Hof Stollen-Post aus dem Vatikan. Papst Innozenz VIII. erlaubte mit dem als „Butterbrief“ bekannt gewordenen Schreiben Butter als Zutat. Allerdings mit einer Auflage: Es mussten Bußzahlungen zugunsten des nahe gelegenen Freiberger Doms entrichtet werden.
Wer Stollen backt, braucht Zeit. „Vom ersten Handgriff bis zum fertig verpackten Stollen vergehen rund 48 Stunden“, erklärt Krause und ritzt mit einem kleinen Messer einen ein Millimeter tiefen Schnitt in jeden Teiglaib. Der führt dazu, dass der Stollen beim gut einstündigen Backen so charakteristisch „aufbricht“, wie der Fachmann sagt.
Nach dem Backen braucht der frische Stollen erst mal wieder eine Nacht Ruhe, bevor es weitergeht: mit dem Einbuttern und Bepudern. Die Bäckerei Krause verwendet zum äußeren Buttern der Stollen reines Butterfett. Der Vorteil: Es kann nicht ranzig werden und konserviert zusammen mit dem Puderzucker den Stollen. „Wir testen die Haltbarkeit gerade mit einem Stollen aus, den wir vor fünf Jahren gebacken haben – jeden Dezember schneiden wir eine Scheibe ab und kosten, dann kommt er wieder bei zwei Grad in die Kühlung“, erzählt der Bäckermeister. „Beim letzten Mal schmeckte er richtig schön marzipanig.“
Wenn die Bäcker mit großen Sieben bewaffnet die Stollen ins typische Puderzuckerkleid hüllen, denken sie vermutlich nicht ans Jesuskind. Gleichwohl sollen die weiß bepuderten Stollen das in Windeln gewickelte Jesuskind symbolisieren. Bereits im 15. Jahrhundert suchte man in Dresden nach verschiedenen Formen, mit denen die Backwaren religiöse Sinnbilder oder gar Bibelszenen wiedergeben könnten. Der Stollen gehört damit zu den sogenannten Gebildebroten.

„Hilfestellungen“ für Westdeutsche

Obwohl der Stollen oder „Striezel“, wie ihn die Dresdner auch nennen, seit Jahrhunderten unzertrennbar mit Dresden verbunden und längst ein Exportschlager ist, bedarf es zuweilen doch immer noch einiger „Hilfestellungen“ für Westdeutsche beim Verzehr. Krause berichtet lachend von einer Dame, die eines Tages empört bei ihm anrief: „Was verkaufen Sie denn da für einen Mist?! Ich verstehe nicht, wie man für so eine harte Flunder eine Auszeichnung bekommen kann.“ Sie hatte den klassischen Anfängerfehler gemacht und den Stollen am harten Rand angeschnitten.
Krause erklärte ihr geduldig und ausführlich: „Stollen muss hart sein. Man muss ihn immer in der Mitte durchschneiden, dann einzelne Scheiben abschneiden und wieder zusammenschieben. Und ruhig auch noch ein bisschen liegen lassen.“ Inzwischen gehört die Frau zu seinen treuesten Kunden.