Die „Toten Hosen“ wollten gern mal im Osten spielen. Ungleich größer war das Risiko für die Ostpunks mit denen sie gemeinsam auftraten. Konspirativ organisierte Geheimkonzerte, das war nicht ohne Gefahr. Doch weder die Stasi noch die DDR-Volkspolizei konnten die Konzerte verhindern.
Berlin. Ilona Großmann bekam nichts mit. Sie war 45, lebte allein mit zwei Kindern, um die sie sich kümmern musste. Da war ein Punkkonzert nicht ihr vorrangiges Interesse. Obwohl es in ihrer Kirchengemeinde, der Hoffnungsgemeinde in Berlin-Pankow, stattfand. Am 9. April 1988. Es war vielleicht nicht ihr Musikgeschmack. Zwei Straßen entfernt vom Garten des Gemeindehauses, wo das Konzert stattfand, hörte sie auch nichts von der Musik.
Dass sie nichts von dem Konzert mitbekam, hatte aber noch einen anderen Grund. Es fand nahezu geheim statt. Wie Ulrike Treu erzählt, derzeit Pfarrerin der Hoffnungsgemeinde, fand sich im Protokoll der Gemeindekirchenratssitzung zum damaligen Zeitpunkt nur die Bemerkung, die Räume des Gemeindehauses sollten an eine andere Gemeinde vermietet werden – ein Codewort für eine Nutzung, die nicht an die große Glocke gehängt werden durfte.
Unter dem Mantel der Kirche
Dazu gehörten auch Auftritte ostdeutscher Punkbands, denen die evangelische Kirche im Rahmen ihrer offenen Jugendarbeit Unterschlupf gewährt hatte, weil sie wegen staatlicher Drangsalierung anderswo nicht proben und auftreten konnten. Für solche Auftritte musste offiziell ein kirchliches Mäntelchen umgehangen werden. In diesem Fall war es zum Abschluss einer Ökumenischen Jugendwoche ein Jugendgottesdienst, in den der Auftritt eingebunden war.
Es spielten die ostdeutsche Punkband „Die Vision“ und die „Toten Hosen“ aus Düsseldorf, angekündigt zur Tarnung als eine Punkband aus Dresden. Es war laut, es war wild. Etwa 200 Punker tanzten Pogo. Es wurde reichlich getrunken. Flaschen flogen.
Blitzschnell rein und raus
Fünf Jahre zuvor, am 27. März 1983, waren die Toten Hosen bereits in einer Kirchengemeinde in Ostberlin aufgetreten, in der Erlösergemeinde Rummelsburg, zusammen mit der Ostberliner Punkband „Planlos“. Ihr Gitarrist, Micha Kobs, heute 63, erinnert sich, wie es zustande kam: „Wir waren gerade in der Metzer Straße im Probenraum, da flog die Tür auf, jemand kam rein: ‚Die Toten Hosen sind da, die wollen hier spielen. Wir müssen irgendwas machen.‘ Da haben wir auf die Schnelle irgendwie einen Trabi organisiert mit ’nem Anhänger, unseren ganzen Kram da reingeschmissen, sind nach Rummelsburg gefahren, haben da aufgebaut.“ Rund 30 Leute, die schnell zusammenkamen, hörten zu. Die Toten Hosen spielten eine halbe Stunde, Planlos auch. „Dann ham wir sie noch zur Grenze gebracht und alle waren total happy. Das war eigentlich schon die ganze Nummer, blitzschnell rein, raus.“
Auch die Planlos-Leute hatten sich unter das schützende Dach der kirchlichen Jugendarbeit begeben, nachdem das Ministerium für Staatssicherheit und die DDR-Regierung alles in Bewegung gesetzt hatte, dem Jugendprotest der Punks ein Ende zu bereiten; mit häufigen Verhören in der Keibelstraße in Berlin-Mitte, wo sich zwischen 1951 und 1990 eine Untersuchungshaftanstalt (UHA) befand. mit Zersetzung und Zermürbung, mit Schließung bestehender Treffpunkte, mit Gefängnis.
Staatszersetzende Frisuren
Micha Kobs hatte die Jugendkultur des Punks als Lehrling kennengelernt. Mit Freunden sahen sie sich abends im Fernsehraum des Lehrlingswohnheims heimlich Sendungen im Westfernsehen an. Und da war auch eine über Punkmusik dabei. Kobs war wie elektrisiert: „So was hast du vorher nie gesehen und nie gehört, weil das endlich mal harte Musik war. Von da an war es eigentlich um mich geschehen“ Kobs wollte Punk werden.
Was zunächst nur als Musik und Attitüde faszinierte, wurde schnell durch die Reaktion der Wohnheimsleitung politischer. Kobs und seine Freunde ließen sich die Haare zu kahlen Schädeln abrasieren. Die Leitung unterstellte, sie würden mit dem Häftlingsschnitt das Wohnheim so darstellen, als wäre es ein KZ. „Die hatten überhaupt keine Ahnung, dass das Punk sein sollte. Vorher war es ja anrüchig, lange Haare zu haben. Jetzt war es anrüchig, kurze Haare zu haben, zu kurze Haare“, so Kobs. Zum ohnehin bestehenden Frust über die dauerhafte Reglementierung ihres Lebens, die ideologisch-politischen Phrasen und Lügen kam als Gegenreaktion Trotz und die Lust an der Provokation.
Punkrock als Ventil
Sozialdiakon Stefan Müller, der in der offenen Jugendarbeit mit Punks zu tun hatte, ging es ähnlich wie Micha Kobs. Auch für ihn war Punk ein Ventil, später Anregung für das eigene politische Tun. Über seine erste Begegnung mit Punk und der Punkbewegung sagt er: „Ich war hellauf begeistert, es war bunt, es war aggressiv. Das hat mich stark geprägt, weil uns das motiviert hat zu sagen: Scheiß drauf, wir machen jetzt kamikazemäßig das, was wir für politisch richtig halten.“ Dazu regten ihn die Punkmusik und die politischen Aktionen der Punker an, besonders der in England: „Da waren drei CDs, die ich mir immer reingezogen habe, bevor ich zu ’ner Demo gefahren bin oder nachdem wir aus dem Knast rausgekommen sind. Wir haben ein paar Demos organisiert zum Wahlbetrug und zum Unrecht in China. Bevor wir losgefahren sind, haben wir uns diese Mucke reingezogen.“
In Berlin fanden im Juni 1989 –kurz nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking – Aktionen in den Räumen der Kirche von Unten (KvU), in der Samariterkirche und in der Erlöserkirche statt, die von jungen Menschen organisiert wurden. Jene, die gegen das brutale Vorgehen der chinesischen Staatsmacht protestierten, waren bereits einen Monat zuvor gegen die Fälschung der Kommunalwahlen in der DDR auf die Straße gegangen.
Das Saufen, die Musik und das Reden: Alles war politisch
Müller lernte die Punks in der Erlösergemeinde Rummelsburg kennen, wo er seit 1987 tätig war und wo 1983 die Toten Hosen mit Planlos aufgetreten waren. Neben den menschlich und sozial Angeschlagenen unter ihnen, die viel tranken, gab es die, die eher politisch waren. „Die haben von ihrer Geschichte erzählt, von ihren Knasterfahrungen. Da hatte ich wirklich großen Respekt vor. Aber auch vor den Suffpunks, die waren ja auch im Knast. Das Saufen war politisch, die Musik war politisch und das Reden, das Denken auch. Alles war politisch.“
Stefan Müller war beim Auftritt der Toten Hosen und der Ostberliner Punkband „Die Vision“ 1988 in der Hoffnungsgemeinde dabei. Er fuhr mit Punkern aus Rummelsburg hin und musste dafür sorgen, dass die Musikanlage keinen Schaden nahm bei dem wilden Treiben.
2021 kamen die Toten Hosen als Krönung eines Dokumentarfilmprojekts über ihre geheimen Auftritte in der Versöhnungskirche Rummelsburg und auf dem Gemeindegelände der Hoffnungskirche in Pankow noch einmal in die Hoffnungsgemeinde. Sie spielten dieses Mal nicht draußen, sondern in der Kirche. Und trafen Musiker von Planlos, die sie seinerzeit spontan in die Erlöserkirche mitgenommen hatten für den gemeinsamen Auftritt. Die Band-Mitglieder schlenderten durch den Garten der Erlösergemeinde, auf dem die Kinder dortigen Kita spielten und sprühten ihre Konterfeis auf die Mauer eines der Kita-Gebäude.
Texte, die aufrütteln
Ilona Großmann war wieder nicht dabei, was sie bedauert. Sie hatte durch ihren in seiner Jugend recht wilden Sohn, der sich unter anderem in nicht geringe Gefahr beim S-Bahn-Surfen brachte, Verständnis für Jugendkulturen und ihre Musik entwickelt. Und sich ihm zuliebe auch in die Texte von Rock- und Punkbands vertieft. Sie meint: „Das sind Texte, die aufrütteln, die Jugendlichen vor allen Dingen sagen: Macht es besser, macht es anders, die sich wehren gegen Ungerechtigkeit. Diese Beschwerde an die Obrigkeit, die muss man rausschreien, sonst kommt die Jugend unter die Räder.“
Da würden ihr die Punker wohl zustimmen können, die Toten Hosen ebenso wie die Jungs von Planlos und anderen DDR-Punkbands. In dem Planlos-Song „Überall, wohin’s dich führt“ heißt es:
Überall wohin’s dich führt
wird dein Ausweis kontrolliert
und sagst du einen falschen Ton
was dann geschieht, du weißt es schon
Ganz egal wohin man schaut
sind Kameras aufgebaut
begleiten dich auf Schritt und Tritt
die Sicherheit geht mit dir mit
Irgendwann da muß was geschehen
denn wer will länger tatenlos stehen
bist du denn geboren worden
um dich allen unterzuordnen